Jost, Christian (*1963)

Symphonische Toccata für Orgel

Verlag/Label: Schott Music, ED 21065
erschienen in: organ 2017/02 , Seite 63

Symphonische Orchestermusik und Solokonzerte, aber auch Bühnenwerke und Kammermusik gehören zum umfangreichen und vielschichtigen Œuvre des gebürtig aus Trier stammenden Christian Jost. Insofern steht die 2011 uraufgeführte Symphonische Toccata für Orgel, ein Auftragswerk der Essener Philharmonie und der Alfred und Cläre Pott-Stiftung, in diesem Werkumfeld eher solitär da. Das von Bachs „epidemischer“ Toccata (d-Moll, BWV 565) inspirierte Stück konfrontiert den Interpreten allerdings mit einer Reihe von kniffligen Aufgaben musikalischer, spieltechnischer und instrumentenspezifischer Art.
Die nicht gerade „orgelaffinen“ Tonrepetitionen, die das Stück einleiten und sich als ein motorischer roter Faden mehr oder weniger durch das ganze Werk hindurchziehen, erfordern ihrerseits eine sensible, schnell und präzise ansprechende Traktur. Die komplizierte und polyrhythmische Faktur verlangt dem Spieler überdies so einiges ab; insgesamt ist eine gute „pianistische“ Spieltechnik für eine gelungene Darstellung dieses Werks essenziell. Jost hat recht genaue Vorstellungen, was Tempo, Artikulation und Dynamik angeht und vermerkt das in der Partitur – genaue Regis­trationsanweisungen oder orgeltypische Klangvorstellungen sucht man indes vergebens. Vielleicht ist das ähnlich gedacht, wie Mendelssohn es im Vorwort zur klanglichen Realisierung seiner Orgelwerke op. 65 schrieb:?Er verzichte deshalb auf genaue Registerangaben, weil „die gleichnamigen Register nicht immer bei verschiedenen Instrumenten die gleiche Wirkung hervorbringen“, im Gegensatz beispielsweise zu den mehr oder weniger „normativen“ Klangidealen bestimmter Epochen französischer, spanischer oder italienischer Provenienz.
Etwas seltsam muten aber die in der Partitur notierten Überschreitungen der üblichen Manual- und Pedalumfänge (vor allem nach unten!) an, die selbst auf den erweiterten amerikanischen Klaviaturen so eins zu eins nicht ausführbar wären. Hier muss der Interpret sich etwas ausdenken und zurechtlegen, um die Klangvorstellungen des Komponisten erfüllen zu können.
Die Symphonische Toccata weist stark rhapsodische Züge auf und ist daher eine Toccata im üblichen Wortsinne (ital. toccare = anfassen, anrühren) und weniger eine perpetuum-mobile-artige Form, geprägt durch Spielfiguren Widor’scher oder Vierne’scher Prägung. Die Tonsprache ist durchgehend dissonant bis explizit atonal, harmonische Strukturen sind weniger erkennbar als eine von ostinaten rhythmischen Mustern durchsetzte Klangtektonik.
Summa summarum handelt es sich hier um ein eher „orgeluntypisches“, gerade aber vielleicht deswegen mit Blick auf seinen Repertoirewert lohnendes Stück, das den Spieler aber vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten stellt und stellenweise wohlüberlegt „eingerichtet“ werden muss. Nimmt man zudem den intendierten rhapsodisch-improvisatorischen Zug mit in den Blick, muss vor allem der diesbezüglich versierte Spieler selbst entscheiden, ob sich dieser Aufwand lohnt, denn für die etwa zehnminütige Spieldauer wird man unter dem Strich ein gerüttelt Maß an Mühe und Schweiß investieren müssen.

Christian von Blohn