Symphonische Klangwelten

Hommage à Gerald Woehl - 20 Jahre Woehl-Orgel in der St. Martinus-Kirche Sendenhorst. Winfried Lichtscheidel, Orgel

Verlag/Label: 2 CDs, Ambiente Audio ACD-1085 (2018)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/01 , Seite 62
Bewertung: 5 von 5 Pfeifen!
Schon allein für die Einspielung der Sinfonie Aus der Neuen Welt von Antonín Dvořák gebührt dem Organisten Winfried Lichtscheidel die Höchstbewertung mit fünf Pfeifen! Auf seiner jüngsten Doppel-CD sorgt er mit der Orgelversion dieses gewaltigen Orchesterwerks (Transkription: Zsigmond Szathmáry) für Hochspannung vom ersten bis zum letzten Takt. Aber auch die weiteren zwei Stunden Musik verdienen allergrößtes Lob. Denn einerlei, ob Lichtscheidel Dvořák, Bach, Liszt, Mozart, Dupré oder Reger spielt – er tut dies auf absolut hohem musikalischen Niveau und mobilisiert schier grenzenlose technische Souveränität. Und es ist nicht das erste Mal – schließlich hat Lichtscheidel in den vergangenen Jahren an „seiner“ Woehl-Orgel in der St. Martinus-Kirche im westfälischen Sendenhorst etliche Produktionen realisiert, deren künstlerischer Ertrag stets enorm war, zuletzt sämtliche Widor-Sinfonien.
Die höchst unterschiedlichen Stimmungen in Dvořáks – in welchem Maß auch immer „amerikanisch“ inspiriertem – sinfonischem Solitär fängt Lichtscheidel auf geradezu unnachahmliche Weise ein. Seelenruhige Adagio-Phrasen kontrastiert er mit vor Lebendigkeit sprühenden Allegro-Abschnitten, lässt das Scherzo erst koboldhaft purzeln, dann tänzerisch schwingen! Fast könnte man meinen, man lausche der einzigen Orgelsinfonie, die Dvořák je komponiert hat!
Lichtscheidel kann sich dabei auf die erstaunlichen Klangressourcen der 1999 erbauten Woehl-Orgel verlassen: Mit 46 Registern auf drei Manualen und Pedal ist diese nicht unbedingt riesig; aber die Raffinesse, mit der Lichtscheidel die Möglichkeiten des Instruments ausschöpft, macht diese Orgel zu einer Quelle grenzenloser Farben. Da bleiben nirgends Wünsche offen – nicht für Dvořák, auch nicht für Franz Liszts Préludes.
Lichtscheidel widmet seine Doppel-CD Gerald Woehl zum 20. Geburtstag dieser Orgel und demons­triert, was sie alles kann. Mit Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 3 zum Beispiel. Oder mit Mozarts „großer“ f-Moll-Fantasie mit einem himmlisch singenden Andante-Mittelteil. Für Marcel Duprés Symphonie Passion bietet das Instrument alles, was das französisch-symphonisch schlagende Herz begehrt: poe­sievolles Licht für Christi Geburt („Nativité“), hammerharte Akkordschläge im martialischen Fortissimo für die Kreuzigungsszene und mystische Sphärenmusik, in die das österliche „Lumen Christi“ getaucht wird.
Nicht genug mit all diesen Pretiosen: Zum Schluss bietet Winfried Lichtscheidel noch eine gute halbe Stunde Fünf-Pfeifen-Literatur Reger’scher Provenienz: Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127! Ein Gipfel der deutsch-romantischen Orgelliteratur, vom Orga­nisten in eine perfekte Dramaturgie gekleidet. Die brillante Aufnahmetechnik tut ein Übriges und lässt die Orgel sehr natürlich klingen.
Christoph Schulte im Walde