Guillou, Jean

Symphonie Initiatique

für Orgel mit 2 Spielern op. 18

Verlag/Label: Schott Music, ED 22012
erschienen in: organ 2016/04 , Seite 62

Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um die nunmehr dritte Fassung des bereits im Jahre 1969 für drei (!) Orgeln komponierten Werks von Jean Guillou. 1990 richtete der Komponist seine Symphonie Initiatique für zwei Orgeln ein und legt mit dieser 2009 verfassten und nunmehr neu edierten Bearbeitung eine vor allem unter pragmatischen Gesichtspunkten zweckmäßige Version vor.
Wie in nahezu allen größeren Kompositionen Guillous wird von beiden Spielern eine souveräne Beherrschung der or­ganistisch-pianis­tischen Spieltechnik gefordert. Oftmals überschneiden sich Primo- und Secondo-Part auf unterschiedlichen Manualen. Hierfür ist Geschmeidigkeit und Beweglichkeit, zuweilen auch ein „Schweben“ von Armen und Händen der Ausführenden unabdingbar. Herausfordernd, gerade im koordinierten Zusammenspiel, sind schnelle, rhythmisch vertrackte melodische Figuren, die sich – scheinbar beziehungslos zueinander – gemeinsam entwickeln und zu vielschichtigen arabesken Konglomeraten metamorphosieren.
In puncto Lesefreundlichkeit lässt die sorgsam erstellte Edition keine Wünsche offen. Allenfalls ein Vorwort hätte die 88 Druckseiten umfassende Ausgabe sinnvoll ergänzen können.
Um das Werk authentisch darstellen zu können, ist eine symphonische Großorgel mit einem Manualumfang von C–c4 (und im Pedal von C–g1) unabdingbar: ein klanglich möglichst „variables“ Instrument, dessen Gesamtdisposition ne­ben einem Fundus verschiedens­ter Solostimmen und gemischter Farbregister in den Manualen über mindestens vier Teilwerke verfügt. Es sollten beispielsweise gleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen Trompette, Cornet, Flûte, Sesquialtera, Cromorne und im Pedal Basson 16’, Flûte 2’ gespielt werden können. Aus den solistischen Fähigkeiten der Register entwickelt sich ein polychromes Gebilde allgemeiner „Stereophonie“.
Die Satzbezeichnungen greifen traditionelle Formprinzipien auf wie Canon à Trois, Invention, Divertimento und Variation. Gleichwohl entfaltet sich das thematische Material nicht etwa in neoklassi­zis­ti­scher Weise, sondern in freiem Ges­tus. Es entsteht der Eindruck eines „spontanen, unausweichlichen Werdens“ im Gefühlsbereich, das der Kunst der schöpferischen Improvisation Guillous entsprungen zu sein scheint. Dieser Strom „poetischer Leidenschaft“ potenziert sich in der Ausarbeitung ob der Gleichzeitigkeit beider Spieler. Immer wieder löst sich die Musik vom Metrum vermittels irregulärer Zeitwerte und häufiger Taktwechsel. Diametral zu solcher Virtuosität steht die leichte Fassbarkeit der kurzen Divertimen­to-Sätze – mit sanft-wiegenden Le­ga­toakkorden – und der dazwischen eingeschobenen „Variation“, schwere Staccatoakkorde werden einer aparten Melodie im Pedal auf Clairon 4’ gegenübergestellt. Eine tour de force für die Interpreten ist der risoluto überschriebene Finalsatz „Sonata con Ricercare“. Auf 46 Seiten entfaltet sich ein energiegeladenes Epos voll impulsiver, kontrastreicher und effektvoller Abläufe.

Jürgen Geiger