César Franck

Symphonie d-Moll

Bearbeitung für große Orgel (solo) von Neithard Bethke

Verlag/Label: Edition Merseburger 1857
erschienen in: organ 2018/01 , Seite 62

Vor wenigen Jahrzehnten noch galt die Bearbeitung respektive Trans­kription originaler Kompositionen für andere instrumentale oder vokale Besetzungen als verpönt. Inzwischen hat sich eine grundlegende Wandlung vollzogen. Alles ist grundsätzlich möglich, aber gewiss ist im Einzelfall nicht alles sinnvoll oder ästhetisch überzeugend. Es gibt jedoch auch eine ganze Palette an Stücken, die den Bearbeiter aus sich selbst geradezu dazu aufrufen und ermuntern, Notenpapier und Bleistift zu zücken. Dazu zählen beispielsweise – wie inzwischen mehrfach geschehen – die Sinfonien des österreichischen Komponisten (und Organis­ten!) Anton Bruckner. Jetzt gesellt sich dank der Initiative des langjährigen Rateburger Domorganisten Neithard Bethke mit einer weiteren Ausgabe auch der „Vater der französischen Orgelsymphonie“ und Orgelmeister von Sainte-Clotilde in Paris hinzu: César Franck (1822–
90). Eine Bearbeitung seiner einzigen Orchestersinfonie in d-Moll, so Bethke im Vorwort zur vorliegenden Edition, ergebe sich „fast von alleine“.
Dass dem so ist, liegt natürlich an der Struktur dieses späten Meisterwerks von Franck und vielleicht auch daran, dass er speziell dieses Opus sehr orgelmäßig im orches­tralen Stil des „Orgue symphonique“ seines genialen Pariser Orgelbauzeitgenossen Aristide Cavaillé-Coll (1811–99) empfunden hat, zumal dessen Orgeln als klangästhetische Inspirationsquelle einen zentralen Platz im Leben und Schaffen Francks einnahmen. Als er die Orchestersinfonie 1888 beendete, lagen die überwiegenden Teile seines Orgelschaffens ebenfalls vor. Lediglich die drei großen Choräle entstanden erst kurz danach gewissermaßen als „musikalisches Testament“.
Mit der Transkription auf die Orgel fügt Neithard Bethke dem französischen spätromantischen Repertoire für die Orgel sozusagen ein anspruchsvolles und gewichtiges weiteres Werk des Großmeisters hinzu. Insofern stellt seine Edition absolut einen Gewinn für die Orga­nisten­zunft dar. Bethkes Transkription ist über viele Jahre hinweg gereift – und dies spürt man beim Studium der Orgelpartitur. Er hält sich soweit als möglich, an die originale Notation und Artikulation, die Franck übrigens sehr minutiös in seine Orches­terpartitur eintrug und bei der man sozusagen auf Schritt und Tritt im Einzelnen nachvollziehen kann, dass Franck beim Komponieren vielfach den spezifischen symphonischen Orgelklang im Ohr hatte. Tremoli der Streicher oder Tonrepetitionen in Sechzehntel-Werten wandelte Bethke sehr geschickt in Achtelgruppen um, so dass der gesamte Orgelsatz ohne Probleme bestens spielbar bleibt und keine unüberwindbaren technischen Hürden aufweist.
Auch die dynamische Zeichensetzung Francks behielt Bethke bei und nahm daran anknüpfend die detailliert notierte Aufteilung der Klaviaturen für eine dreimanualige, französisch-symphonisch ausgelegte Disposition vor. Dabei vermerkte er – und das ist ein weiteres Plus der Ausgabe – fast durchweg in Klammern die jeweilige Orchestergruppe in der Originalfassung, seien es Streicher, Solobläser, Harfe oder das Blech, so dass jeder Organist seine Registrierung problemlos danach adaptieren bzw. je nach Disposi­tionsvoraussetzung erweitern kann, ohne vorher die Orchesterpartitur studieren und analysieren zu müssen.
Trotzdem dürfte es eine einigermaßen zeitaufwendige Aktion bleiben, die rund vierzigminütige Sinfonie („I. Lento – Allegro non troppo“, „II. Allegretto“, „III. Allegro non troppo“) auf der Orgel einzurichten, selbst wenn man auf moderne Setzerkombinationen zurückgreifen kann. Andernfalls wäre mindestens ein (versierter!) Registrant unumgänglich. Die gängigen Klaviaturumfänge einer großen, romantisch-symphonischen Orgel (im Manual bis g3 im Diskant) werden in keinem Fall überschritten. Das Pedal, ab und zu nur in der 8-Fuß-Lage bzw. in einigen exponierten Passagen im Doppelpedal notiert, übernimmt durchweg die Funktion der Bassgruppe des Orchesters.
Das Notenbild der als Ringheftung realisierten Edition ist sehr übersichtlich, gut lesbar gestaltet und gewissenhaft erarbeitet. Franck’­sche Tempoangaben erscheinen in einigen Fällen leicht modifiziert. So wurde aus dem „Tempo come avanti“ im dritten Satz oder aus dem „Tempo stretto come avanti“ im Takt 125 des zweiten Satzes ein „L’istesso tempo“.
Einige wenige überflüssige Angaben stellen absolut keinen Qua­litätsverlust dar (so fragt sich der Benutzer, warum in Takt 473 des ersten Satzes überflüssigerweise in Klammern der Vermerk „d-Moll“ steht, obwohl die harmonische Situation eher nach g-Moll bzw. B-Dur tendiert; oder warum der Hinweis „linke Hand“ im Takt 242 des ersten Satzes eingefügt wurde, da die Noten ohnehin im zweiten Sys­tem notiert sind?). Etwas störend wirken die entgegen der üblichen Editionspraxis sich vor allen Akkoladen permanent wiederholenden Bezeichnungen „Org.“ und „Ped.“
Ein kurzes Vorwort (in Deutsch und Englisch) ist der Ausgabe vorangestellt. Vielleicht wären einige zusätzliche (hier gänzlich fehlende) Angaben zur angewandten Editionstechnik und ein Hinweis auf die Gesamtkonzeption der Bearbeitung ebenfalls sinnvoll gewesen. Doch diese und andere Kleinigkeiten sollen nicht mit einer Beckmesserei über diese Ausgabe den Stab brechen. Ganz im Gegenteil: Neithard Bethkes op. 75 ist rundum sehr zu begrüßen. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass dieser Fassung der breite Erfolg, welcher Franck bei der Uraufführung seiner bedeutenden Sinfonie in Paris seinerzeit zunächst versagt blieb, auf der Orgel künftig gleichwohl beschieden sein wird.

Felix Friedrich