Kay Johannsen

Sunrise

Verlag/Label: Carus CD 83.485 (2017)
erschienen in: organ 2017/04 , Seite 58

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Da vom Komponisten selbst gespielte eigene Musik die Ebenen von Schriftlichkeit und Interpretation vereint, lässt eine solche Wiedergabe Authentizität erwarten. Bei den Stücken der vorliegenden CD begegnet sie für die Orgelsolo-Kompositionen vollumfänglich. Kay Johannsen, der als Orgelinterpret und Ensembleleiter versiert und in der musikalischen Fachwelt respektiert ist, präsentiert eine vielfältige Auswahl seiner Orgelkompositionen sowie eine Orgelimprovisation. Dabei sind in der gro­ßen Bandbreite der gebotenen musikalischen Formen Eigenschaften wie Musizierfreude, ausgedehnte Spannungsbögen und Detailarbeit prägend.
Alle acht eingespielten Orgelsolo-Kompositionen entstanden seit der Jahrhundertwende. Ihnen ist entweder eine außermusikalische Szenerie oder Imagination (u. a. The Great Wall, Sunrise, Song of Hope) zugeordnet oder sie folgen musikimmanenten Gestaltungsideen, die rhythmische, melodische und harmonische Prozesse erzeugen. Johannsen lässt bei seiner Interpretation Klangsphären entstehen, die von geheimnisvoll-dämonisch bis elysisch reichen, und er erzielt mit seinem poly­rhythmischen Swing zuweilen ausgesprochen tänzerische Effekte.
Das frühe, bereits 1983 komponierte Stück für Flöte und Orgel bildet hierzu einen beinahe asketisch wirkenden Kontrast; Johannsen spielt es gemeinsam mit Julie Stewart. Eine Improvisation über BACH für Orgel solo schließt den ersten Teil der CD ab. Johannsen erzeugt hierbei sanfte Klangflächen, flirrendes Spiel und Glockenschlagen und wechselt schließlich über Tanzpassagen zu einem allmählich anwachsenden Crescendo. Ein Verlauf, der mit dem Titel Sunrise, der sowohl eine der eingespielten Kompositionen als auch die CD insgesamt bezeichnet, korrespondiert.
Mit seiner viersätzigen Anlage, einer Gesamtdauer von gut 17 Minuten und der umfangreicheren Besetzung bildet das Concerto aus dem Jahr 2014 ein musikalisches Gegengewicht zum ersten Teil der CD. Es wird sehr musikantisch interpretiert von der Stiftsphilharmonie Stuttgart unter der Leitung von Mihhail Gerts. Das kompositorisch wirkungsvoll eingesetzte Schlagwerk ist von Michael Aures und Guido Beck (Pauken) realisiert. Johannsen, der hier wieder den Orgelpart übernimmt, hat mit dem Concerto eine prächtige und abwechslungsreich changierende Komposition geschaffen. Die Wiedergabe weckt unmittelbar Assoziationen an Filmmusik.
Offenbar hielt die Raumakustik der Stiftskirche Stuttgart einige tontechnische Herausforderungen parat, denn bei manchen – insbesondere den klangvoluminösen – Stellen der Solostücke und des Concerto wirken mittlere und tiefe Klangbereiche zuweilen verunklart bzw. abgedämmt. Nichtsdestotrotz werden die farblich wechselnden Orgelregistrierungen und Kontrastbildungen der Streicher- und Schlagzeugparts wirkungsvoll abgebildet.
Das Booklet informiert kurz über die gebotenen Kompositionen, gibt die Disposition der großen Mühl­eisen-Orgel aus dem Jahr 2004 wieder und informiert über sämtliche Interpreten der Einspielung.

Daniela Philippi