Süddeutsche Orgelmusik der Spätromantik

Werke von Gottfried Rüdinger, Joseph Haas, Anton Beer-Walbrunn, Joseph Schmid, Joseph Renner jun., Arthur Piechler, Gustav Geierhaas

Verlag/Label: Chromart Classics, TYXart TXA15052 (2016)
erschienen in: organ 2016/03 , Seite 58

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Gerade in jüngerer Zeit ist im Bereich des deutsch-romantischen Orgelmusik-Repertoires manches neu- oder wiederentdeckt bzw. (neu) ediert worden. Auch Gerhard Weinberger begibt sich mit seiner jüngs­ten CD auf Pfade abseits jenes sattsam bekannten „mainstreams“, der mit Werken etwa von Rheinberger, Schumann, Liszt oder – gerade in diesem Jahr – Reger gepflas­tert und diskografisch hinlänglich dokumentiert ist. Dabei konzentriert sich der Interpret auf Repräsentanten der so genannten „Münchner Schule“, die durch die Lehre Joseph Rheinbergers oder Ludwig Thuilles gegangen waren oder Süddeutschland zeitweise verlassen haben und direkte Schüler Regers in Leipzig wurden, wie z. B. Gottfried Rüdinger (1886–1946). Dessen zwölfminütige Sonate h-Moll (op. 68) setzt Weinberger an den Anfang seiner Klang­reise – mit dem rhapsodisch angelegten „Allegro risoluto / Piu tranquillo“ und der anschließenden Doppelfuge ästhetisch ganz Rüdingers Lehrmeister verpflichtet.
Auch der gebürtige Münchener Joseph Haas (1879–1960) war Reger-Schüler. Er ist hier mit seinem vital-bewegten Impromptu e-Moll vertreten. Dies spannt einen Bogen von pianistisch angelegten Phrasen, die sich bis zum kräftigen Fortissimo aufschwingen, über sanfte melodische Linien bis hin zu vollgriffigen, choralähnlichen Akkorden.
Interessant ist die Gegenüberstellung zweier Werke von Joseph Schmid (1868–1945), der zeit seines Lebens in München wirkte, nicht zuletzt ab 1901 als Domorganist an der Frauenkirche. Schmids Elegia c-Moll (op. 48) erinnert an Franz Liszt – 62 Opus-Nummern später, in „Passus et sepultus est“ aus op. 110 wird Schmids Sprache deutlich „verwegener“: hinsichtlich der motivischen Einfälle, der Harmonik und auch dramatischer Entwicklungen. Schmids Jahrgangsgenosse Joseph Renner (1868–1934) bleibt mit Thema mit Variationen c-Moll (op. 58) eher traditionell, ebenso Anton Beer-Walbrunn (1864–1929) in seiner Fuga C-Dur (op. 29 Nr. 2). Beer-Walbrunn, von Rheinberger unterrichtet, später selbst Dozent an der Königlichen Akademie der Tonkunst in München, dürfte wohl der unbekannteste Komponist auf dieser CD sein, hatte indes so berühmte Schüler wie Carl Orff und Wilhelm Furtwängler!
Ihren Platz in der Liturgie haben die kurzen Meditationen über Puer natus est und Salve Regina von Arthur Piechler (1896–1974; der aus Magdeburg stammende Musiker wirkte dreißig Jahre lang in Augsburg), während mit Gustav Geierhaas’ (1888–1976) Phantasie und Fugato capriccioso D-Dur wieder ein größerformatiges, klanglich markantes Orgelwerk den Reigen süddeutscher Meister beschließt.
Die meisten der Werke sind Erst­einspielungen. Allein dies lohnt das Hören dieser CD. Dass Weinberger musikantischen Schwung mitbringt, sich stimmiger Agogik bedient und außerdem noch wunderschöne Registrierungen findet, war zu erwarten. Die vorzüglich intonierte neue Goll-Orgel (2015, III + P/40) von St. Martin in München-Moosach lässt da keine Wünsche offen und ist hier aufnahmetechnisch ausgezeichnet „eingefangen“.

Christoph Schulte im Walde