Ludwig, Klaus Uwe

Sonne und Glanz

21 Choralpräludien für Orgel

Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Edition Breitkopf 8836
erschienen in: organ 2012/03 , Seite 58

Für einen jeden Menschen gilt: Der Tag hat 24 Stunden. Nicht so offenbar für Klaus Uwe Ludwig, einen Mann schier ohne Grenzen. Sein unermüdliches Wirken für die Musik umgreift auf imponierende Weise gleich mehrere veritable Professionen: Zuletzt – bis zu seinem wohlverdienten „Unruhestand“ – Kirchenmusikdirektor (Kantor und Organist) an der Lutherkirche der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, wirkt er als Konzertorganist, Sänger (Bass-Bariton), Pianist und Liedbegleiter, Instrumentenbauer, Regisseur, Arrangeur, Textdichter, Autor, Editor usw. usw.
In der Tat stellt sich hier die Frage: Wie bewältigt ein Mensch wie Klaus Uwe Ludwig dieses enorme Pensum? Und nun auch noch Komponist: Im verdienten Wiesbadener Musikverlag Breitkopf & Härtel erschienen jetzt zwei Bände mit Choralvorspielen aus der Feder Ludwigs unter den stimmungsvoll-programmatischen Motti Sonne und Glanz sowie Engel und Hirten, jeweils mit 21 Choralvorspielen.
In seinem leicht knorrig-launig geratenen Vorwort zu Sonne und Glanz weist der Komponist auf die eigentliche Zweckbestimmung der Sammlungen hin: Sie sollen zuvörderst „zum fröhlichen Singen“ anregen. Der Affekt ansteckender „Freude“ scheint hier folglich der entscheidende Dreh- und Angelpunkt der Choralminiaturen zu sein. Tatsächlich spiegelt das klangliche Ergebnis diesen Freudeaffekt. Dabei geht es Ludwig in erster Linie um den Gottesdienst, von dem Martin Luther in seiner berühmten Predigt 1544 in der Schlosskirche zu Torgau zu sagen wusste, dass in ihm „nichts anderes geschehe, als dass unser lieber Herr mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum ihm antworten in Gebet und Lobgesang“. Damit ist der reformatorische Gottesdienst als ein gott-menschliches Beziehungs- und Klanggeschehen definiert. Für dieses sind die Choralvorspiele von Klaus Uwe Ludwig bestimmt. Nicht in dem Sinne, dass der Cantus firmus der Gemeinde vorgestellt werden soll, sondern vielmehr als eine Einführung und direkte Hinleitung in den Ausdrucks- und Stimmungsgehalt des betreffenden Chorals. Die Kunst, den Choral dem „Affecte gemäߓ zu spielen, wie es im Falle Bachs bezeugt ist, ist auch hier das zentrale Anliegen.
Ludwig bedient sich dabei bewusst – und nicht ganz ohne ein gewisses Augenzwinkern – bei Vorlagen der „großen“ Komponisten: So klingt Regers bekannte Toccata d-Moll aus op. 59 zum Choral O Heiland, reiß die Himmel auf an; das Vorspiel zum Choral Herr Jesu Christ, dich zu uns wend erscheint in barocker Manier „à la Händel“. Der Komponist ist sich aber in seinem Vorwort (nur in Deutsch) sicher, dass die betreffenden Komponisten ihm dies schon verzeihen werden. In jedem Fall ist der Spieler dem Komponisten dankbar auch für solche gelungenen Stilkopien, die allerdings auch nicht die persönliche Handschrift des Autors verleugnen.
Der Band Engel und Hirten verzichtet weitgehend auf derartige Stilkopien. Die Themen der Choralvorspiele leiten sich im Sinne der Programmmusik direkt aus den Textinhalten der Lieder her: So hört man (natürlich) bei Lieb’ Nachtigall, wach auf den Ruf des Vogels zu Anfang oder bei Wer klopfet an ein „Klopfmotiv“. Gewiss: originell ist dies zunächst freilich nicht – jedoch gelingt es dem Komponisten, dem Fallstrick platter Banalisierungen im Sinne des allzu Offensichtlichen durch geschickte „Kunstgriffe“ mit Geschmack zu entgehen. Diese liturgisch inspirierte Musik ist nicht gewollt avantgardistisch, die harmonische Sprache bleibt somit verständlich, angereichert mit manch polychromen tonsprachlichen Modernismen, die den Stücken ihre spielfreudige Farbigkeit verleihen.
Die Choralvorspiele wenden sich an einen geübten Spieler auf C-Niveau, der sich nicht scheut, dem Gottesdienst zuliebe auch einmal etwas mehr zu üben. Das Ergebnis wird die investierte Mühe am Ende fraglos lohnen. Plausibel umsetzbar ist diese Musik problemlos auch auf einer kleineren Orgel (Hinweise auf Registrierungen wie auch Tempoanweisungen finden sich zum Teil im Notentext), mitunter auch auf dem Positiv. Den beiden Bänden bleibt mithin der verdiente Erfolg zu wünschen in der Hoffnung, das weitere dergestalte Opuscula aus der Feder des nimmermüden Meisters (möglichst rasch!) folgen mögen.

Volker Ellenberger