Liszt, Franz

Sonate pour Pianoforte / Missa Choralis

Verlag/Label: K 617 (harmonia mundi), K617229 (2011)
erschienen in: organ 2012/02 , Seite 52

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Die h-Moll-Sonate ragt schon als einzige groß angelegte, zyklisch konzipierte Komposition für Klavier solo mit dieser Gattungsbezeichnung aus Liszts umfangreichem Klavierwerk heraus und ist in ihrer Widmung an Robert Schumann eine musikalische Antwort auf dessen C-Dur-Fantasie und Reverenz an den geistesverwandten Klavierpoeten. Entstanden in Liszts Weimarer Altenburg-Periode 1852/ 53, ist auch die Nähe zu Großform und Themenbildung der „Ad nos-Fantasie“ erkennbar, und so liegt es nahe, diese Klavierdichtung sinfonisch sich entwickelnder Dramatik und Brillanz auf die Orgel zu übertragen, was dem Schweizer Organisten Benjamin Righetti überzeugend gelungen ist.
Souveräne Spieltechnik und wohlkalkulierte Anschlags- und Artikulationskultur lassen nichts an Spritzigkeit und melodischer Gestaltungskraft im Detail vermissen. Als Titulaire an der Goll-Orgel Righetti die Möglichkeiten des für den Raum ambitioniert großzügig konzipierten Instruments sehr einfühlsam, differenziert und dem Affekt der Musik entsprechend einzusetzen. Natürlich spricht die Orgel in Macht und Klarheit wie ein moderner Konzertflügel und nicht wie ein Erard: Sollten Erbschaften der Klangsubstanz der Bossart-Orgel von 1828 sich in dem Instrument befinden, dann sind sie in einer allzu geschliffenen und für den Poeten und Mystiker Liszt wenig verzaubernden Klangkonzeption verborgen.
Klarheit und Distinktion lassen das Instrument mit Righetti als
Begleiter zum farbenreichen und feinste Nuancen der Intonation stützenden, manchmal auch entlarvenden Partner bei Liszts Missa Choralis werden. Das Vocalensemble „Académie Vocale de Suisse Romande“ besticht durch die hohe Gesangskultur der einzelnen Mitglieder, was bei den häufigen solis­tisch besetzten Partien als besondere Stärke erscheint. Bei den Tutti-Stellen könnte man sich bisweilen eine monumentalere Klangwirkung vorstellen, was vor allem im Kontrast zu den dann doch relativ stark erscheinenden Pianopassagen die Ausdruckspalette begrenzt erscheinen lässt. Beste Harmonisation der Vokalfarben im Ensembleklang, sorgfältige Gestaltung der differenziert notierten Tempo- und dynamischen Entwicklung lassen die verantwortungsvolle Leitung durch Renaud Bouvier und Dominique Tille erkennen. Das Werk stellt in seiner kühnen Harmonik und wechselnden Vokalbesetzung bis hin zur Achtstimmigkeit besonders hohe Anforderungen an Zusammenklang und Struktur des Ensembleklangs. Dazu pausiert die Orgel häufig und über lange Strecken, was eine besondere Sicherheit in der Vorstellung des Gesamt- und Zusammenklangs erfordert, der die Académie über weite Strecken gerecht wird. Doch bedenkt man, dass dies die erste Produktion des Ensembles ist, so ahnt man das Potenzial und bewundert Mut und Ergebnis.

Ralf Bibiella