Mendelssohn Bartholdy, Felix
Sonatas for Organ
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Die Sechs Sonaten op. 65 von Felix Mendelssohn Bartholdy gehören heute zu den Fixpunkten des Orgelrepertoires aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eingedenk der Tatsache, dass es die romantische Orgel zur Entstehungszeit dieser Opusnummer noch gar nicht gab, schrieb Mendelssohn seine in vielen Details bereits deutlich in die Zukunft verweisende Orgelmusik zunächst für die hergebrachte spätbarocke Orgel, die aufgrund fehlender dynamischer Differenzierungsmöglichkeiten den musikalischen Zeitvorstellungen nur noch bedingt entsprach. Mithin sind Mendelssohns Orgelwerke in gewisser Hinsicht kompositorische Anachronismen: im Geiste einer romantischen Idee verpflichtet, geschrieben für ein damals überkommenes Instrument.
In Bezug auf Mendelssohns Orgelschaffen ist gerade bei nicht angelsächsischen Interpreten ein gewisser Eskapismus zu beobachten. Offenkundige Evidenzen werden schlicht verdrängt, nur um das tradierte, liebgewonnene (Klischee-) Bild zu wahren. So wird geflissentlich übersehen, dass Mendelssohns Sonaten größtenteils aus Gelegenheitsarbeiten zusammengestückelt sind. Und dass Mendelssohn das Zusammenstellen seiner Sonaten, die ursprünglich eine Sammlung von Voluntaries ergeben sollten, gar seinem Verleger überließ, dürfte bezeichnend sein für den Wert, den er selbst diesen seinen Orgelstücken und auch der Orgel beimaß.
Jan Lehtola rückt den Sonaten, die er dramaturgisch neu geordnet hat, zwar mit beherztem Spiel zu Leibe, bewegt sich jedoch stets im Hinblick auf die Registrierung in den überkommenen Wiedergabemustern. Obwohl etliche Quellen belegen, dass Mendelssohn stets, so er sich an der Orgel hören ließ, ein dynamisches Registrieren auch innerhalb der Sätze präferierte, wählt Lehtola fast durchgehend die althergebrachte, auf Kontrast abzielende barocke Stufendynamik. Hinsichtlich des in puncto Agogik und Artikulation vorbildlichen Spiels gibt es keinerlei Einwände. Die Tempi sind frisch und ohne falsches Sentiment gewählt, geben so der Mendelssohnschen Euphonie unbeschwert Raum.
Auch die Wahl des Instruments überzeugt. Die 1865 erbaute und weitgehend original erhaltene Orgel aus dem Hause Marcussen besticht durch ihre klangliche Präsenz, die vor allem in einer Vielzahl charakteristischer Einzelregister zum Tragen kommt. Aber auch das zwischen romantischer Gravität und barocker Klarheit austarierte Plenum verleiht der Orgel einen zwar opulenten, jedoch stets angenehm frischen Klang.
Wer sich eine spieltechnisch solide, interpretatorisch konservative Aufnahme von Mendelssohns Sonaten auf einem als historisch zu bezeichnenden Instrument zulegen möchte, der ist mit Jan Lehtolas Einspielung allerbestens bedient. Weder Instrument noch Interpretationsansatz garantieren Authentizität, sondern einzig die in vielen kleinen Details persönliche Interpretation, mit der sich der finnische Musiker hier den Sonaten zuwendet.
Wolfgang Valerius