Grieg, Edvard

Sonata für Orgel e-Moll op. 7

Verlag/Label: Schott Music, ED 21357
erschienen in: organ 2013/04 , Seite 60

Im Zuge der um 1850 sich konstituierenden musikalischen Nationalstile in Europa avancierte Kopenhagen zum kulturellen Zentrum Skandinaviens. Edvard Grieg (1843-1907) ließ sich in den Jahren 1863 bis 1866 in der dänischen Metropole nieder, wo er u. a. von Rikard Nordraak (1842-66) und Niels Wil­helm Gade (1817-90), dem damals bedeutendsten Repräsentanten des spezifisch „Nordischen Tons“, entscheidende Anregungen erhielt. Der junge Grieg widmete seine im Jahr 1865 entstandene (und 1887 revidierte) einzige Klaviersonate in e-Moll dem „verehrten Gade“; später trübte sich das Verhältnis der beiden Komponisten jedoch nachhaltig. Der Freiburger Organist und Hochschullehrer Martin Schmeding edierte für Schott Music das Werk nun in einer Fassung für Orgel.
Für die adäquate Darstellung sollte das Instrument unbedingt über einen Manualumfang von C bis a3 verfügen, Pedal: C bis f1. Außerdem rechnet der Bearbeiter mit einer dreimanualigen Orgel. Die aus der Klavierpartitur entlehnten Bezeichnungen der Übergangsdynamik fordern darüber hinaus mindestens ein schwellbares Werk.
Zu Beginn des mit „Allegro moderato“ überschriebenen Kopfsatzes wird das zarte Hauptthema auf dem II. Manual gegenüber der Begleitung – eine durchgängig, komplementäre Sechzehntelbewegung zwi­schen Pedal und III. Manual – abgestuft hervorgehoben. Bemerkenswert, dass der 22-jährige Komponist als thematisches Material die klingenden Initialen seines Namens E-H-G (Edvard Hagerup Grieg) verwendet. Pianistische Pedaleffekte zur Prolongation der angeschlagenen Töne werden in der Orgel­version zuweilen durch das Halten gebrochener Akkorde angedeutet. Insgesamt strebt Schmeding „eine größtmögliche Annäherung an das Original an“, indem er den Klaviersatz akkurat auf „Manuale und Pedale“ überträgt. Nur selten nimmt er „kleinere Anpassungen im Notentext“ vor, sie sind vor allem dem vergleichsweise geringeren Tonumfang der Orgel im Diskant geschuldet. Sinnreich nutzt er auch das Pedal auf 16’- oder 8’-Basis zur Darstellung der tieferen Lagen. Von Regis­trieranweisungen sieht der Herausgeber ab.
Unverkennbare Nähe zum „nordischen Volkston“ offenbart das an zweiter Stelle stehende „Andante molto“. Aus der träumerisch liedhaften Anfangskantilene entwickelt sich der bewegte Mittelteil (un poco più vivo) zu dynamischer Intensität vermittels pianistischer Arabesken, die auch harmonisch den Impressionismus vorzugreifen scheinen. Der klassischen Viersätzigkeit verpflichtet, schlägt der 3. Satz („Alla Menuetto“) eine Brücke zum ausladenden Finale – „Molto Allegro“. Dessen motivische Keimzelle bildet ein prägnant punktierter 6/8-Rhythmus, der dem Satz einen rastlos vorwärtsdrängenden Charakter verleiht. Diese „galoppartige“ Bewegung wird indes immer wieder von schnellem Sechzehntel-Laufwerk umrankt und durchbrochen.
Zweifellos steht Griegs Klaviersonate im Schatten seiner Miniaturen, etwa der Lyrischen Stücke. Martin Schmeding bringt das wenig bekannte Werk mit seiner Orgelbearbeitung in plastischer Anschaulichkeit ins Gedächtnis.

Jürgen Geiger