Bach, Johann Sebastian
Sechs Konzerte nach Vivaldi
für Orgel bearbeitet und hg. von Elena Barshai
Im Gegensatz zu manch anderen Ausgaben aus dem Hause Butz, bei denen die verlegerische Maxime augenscheinlich Masse statt Klasse lautet, präsentiert sich bei der vorliegenden Ausgabe das Gesamtnotenbild durchweg klar und übersichtlich in der typografischen Gestaltung (einzig die Abstände der beiden Manualsysteme sind hin und wieder unnötig groß, was die Lesearbeit nicht vereinfacht). Überhaupt scheinen Musikverlage heute nur noch wenig Wert auf die ästhetischen Erfordernisse eines typografisch ausgewogenen Druckbildes und auf die Schönheit einer Edition im Gesamten zu legen. Zu Zeiten, in denen sich jedermann auf dem heimischen PC problemlos die komplexesten Partituren selber setzen kann, liegt die Existenzberechtigung der etablierten Musikverlage gerade auch in der Garantie höchster, professioneller Editionsstandards. Neben Fragen der äußerlichen Präsentation gelten diese vorab jedoch der musikalischen Qualität.
Die russische Organistin Elena Barshai hat sich hier der löblichen Mühe unterzogen, sechs Orchesterkonzerte von Antonio Vivaldi für die Orgel solo zu bearbeiten. Hierfür hat sie als Bearbeitungsgrundlage nicht die originalen Orchesterpartituren Vivaldis herangezogen, sondern die weitaus weniger bekannten Fassungen J. S. Bachs für Cembalo solo. Man fragt sich, wozu dieser Umweg? Von der Orchesterpartitur zu einer Bearbeitung und von dieser Bearbeitung nun wieder zu einer anderen Bearbeitung für ein anderes Instrument? Schließlich besteht vom barocken Orchestersatz hin zum barocken Orgelsatz ein genauso großer Unterschied wie vom barocken Cembalosatz hin zum Orgelsatz des 18. Jahrhunderts. Hätte man also direkt vom Orchestersatz transkribiert, wäre zumindest das Risiko minimiert gewesen, Elemente eines typischen Cembalosatzes in den Orgelsatz hineinzutragen. Abgesehen davon sind die Fassungen aber über weite Strecken klangschön und gut spielbar und der Satz ist meist durchsichtig gehalten, ohne leer zu klingen. Im Vergleich zu manch anderen Produktionen, die als Orgelfassungen auf dem Markt erscheinen und insbesondere bei Musikwerken des 18. Jahrhunderts daherkommen, als wollten sie einem Klavierauszug Busonis Konkurrenz machen, erweisen sich diese Fassungen als ein Lichtblick. Es scheint sich allmählich herumzusprechen, dass in der Transkription von Werken einer bestimmten Epoche, analog zur praktischen Spielweise und der Wahl des Instruments, nicht alles erlaubt ist.
In machen Sätzen wurde die Vorlage Bachs allerdings über weite Strecken fast wörtlich übernommen, wie etwa im Concerto F-Dur BWV 978; wobei manchmal lediglich die Fundament-Töne der Harmonie der linken Hand durch das Pedal verstärkt respektive verdoppelt wurden; dies nicht immer zum Vorteil der Musik: Da die beiden Hände zeitweise nur ein durchsichtiges Duett spielen, werden die Bassfiguren der linken Hand durch die zusätzliche Schwere des Pedals nur verdunkelt. Hier wäre es geschickter gewesen, die originalen Fassungen Bachs einfach manualiter auf der Orgel zu spielen und auf das Pedal zu verzichten; zumal sich eine solche Technik eher bei einem vollstimmigen Orgelsatz empfiehlt, bei welchem die figurierten Bässe der linken Hand zusätzlich durch das Pedal fundamentiert werden können. Im Largo desselben Konzerts klingt der Cembalosatz mit seinen tiefen Akkorden in der linken Hand auf der Orgel wenig überzeugend. Bei den Sätzen, in denen die originalen Fassungen Bachs quasi unverändert in die neue Orgelfassung übernommen wurden, von eigenständigen, neuen Orgeltranskriptionen zu sprechen, erscheint vom Herausgeber/Verlag dann doch allzu dick aufgetragen.
Zusammenfassend bietet die Edition aber durchaus eine schöne und lohnende Bereicherung des gängigen Orgelrepertoires; gerade auch für all diejenigen SpielerInnen, die selbst keine Transkriptionen verfertigen. Man darf der russischen Künstlerin, die sich zudem durch zahlreiche Orgeleinspielungen in der Vergangenheit einen veritablen Namen in der Musikwelt gemacht hat, damit den besten verdienten Erfolg wünschen.
Eberhard Klotz