Schwebender Klang – Die Orgel-Skulptur in Alpirsbach

J. S. Bach: Fantasie und Fuge in g (BWV 542) / Pastorella in F (BWV 590) / Fantasie in G (BWV 572); César Franck: Fantaisie in A / Pièce heroïque; Jürgen Essl: Vier Improvisationen (Kleine Blasmusik – Weg nach Strodehne – Trompetentanz – Waldweg)

Verlag/Label: SWR/Carus 83.419 (2009)
erschienen in: organ 2010/02 , Seite 58

Bewertung: 3 Pfeifen

Die Konzeption dieser neuen Orgel für die Alpirsbacher Klosterkirche (heute evangelische Pfarrkirche) stand von Beginn an vor besonderen Herausforderungen sowohl hin­sichtlich ihres möglichen Aufstellungsorts in der denkmalgeschützten, über 900 Jahre alten romanischen Basilika als auch hinsichtlich der akustischen Eigenschaften des mittelalterlichen Sakralraums. Am Ende der Bemühungen stand ein ori­ginelles, technisch nicht ganz unkompliziertes, mobiles und rund zwölf Meter hohes kubisches Turmgebilde, das während der musikalischen „Ruhephasen“ im Querschiff „geparkt“ werden kann.
Die um ihre vertikale Achse drehbare Orgel­skulptur mit vier (!) gleich gestalteten Schauprospekten kann mittels eines Kompressors um 20 Millimeter angehoben, um 50 Grad gedreht auf einem somit erzeugten Luftkissen in Zeitlupe bewegt werden. Im Zentrum der Vierung positioniert, mit günstiger Abstrahlung des Orgelklangs in das basilikale Langhaus (s. Abb. oben), kann sie – zudem unter optimalen Sichtbedingungen des Pub­likums auf die Spiel­anlage – für solistische Konzert­zwe­cke (mit oder ohne Orches­ter) eingesetzt werden. Eine technische Planskizze, mehrere Fotos und Erläuterungen zum Instrument samt Dispositionstabelle finden sich im auf Deutsch, Englisch und Französisch verfass­ten informativen CD-Booklet. Bezüglich der genauen Re­gis­terzahl erfährt der Leser hier: „… gebaut sind jetzt [?] 31 Register mit 4 Oktavauszügen im Pedal. 9 Register des groß besetzten Hauptwerks sind als Wechselregis­ter auf dem 2. Manual als ‚Positiv­werk‘ spiel­bar.“
Die Einspielung wurde vom Rezen­senten mehrmals mit hochwertigsten Profi-Kopfhörern abgehört, konnte klanglich jedoch nicht durchgängig befriedigen. Ein charakteristisches Klangprofil im Sinne eines überzeugenden Barock-Timbre ließ sich bei den polyphonen Klangstrukturen der Musik Bachs im ersten Teil der CD nicht ausmachen. Der akustische Mittelbau des Instruments besitzt gegenüber dem – zumindest bei dieser Aufnahme – akustisch domi­nie­renden Pedal zu wenig Durchsetzungskraft und sonore Fülle.
Warum Jürgen Essl, den man als außerordentlich versierten Konzert­organisten mit soliden technischen Fähigkeiten und gründlicher Partiturkenntnis „seines“ jeweils ausgewählten Programms kennt, Bachs Fantasie und Fuge BWV 542 diesmal tempomäßig vergleichsweise forciert vorträgt, erschließt sich dem Hörer nicht auf Anhieb. Verständlicher – bzw. deutlicher – wird es dadurch für den Hörer bei dieser Aufnahme nicht. Der gravitätische Charakter der mit kühnen Chromatismen durchsetzten Fantasie steht in dieser Interpretation zurück.
In ähnlicher Weise zieht auch die brillantere Fantasie G-Dur BWV 572 (Pièce d’orgue) in ihren ersten beiden Teilen mit raschen Tempi am Ohr des Hörers vorüber – der ausgreifende Allabreve-Teil in der Mitte verträgt dies Tempo indessen recht gut! –, mit dem unerwarteten Zusatzeffekt, dass das generell nicht unproblematische lentement (Teil III) hier wirklich einmal dezidiert „langsam“ erscheint.
Bei aller (architektonisch-technischen) Sympathie für die ambitionierte orgeltechnische Konzeption und architektonische Eigenart der Alpirsbacher „Orgel-Skulptur“ aus dem Hause Orgelbau Claudius Win­­terhalter lässt sich keine symphonische Charakteristik im originären Sinne mit Blick auf die Wiedergabe der beiden hier eingespielten Stücke aus den Trois Pièces von César Franck heraushören. Es fehlt dem Instrument, zumal in dem gegebenen Klangraum, einfach an orchestraler Fülle und dem für Francks Musik stets auch erfor­derlichen Maß an melancholischer Poesie des Orgelklangs …
Was diesen Tonträger am Ende doch so erfreulich macht, sind vier klanglich reizvolle, inspirierte Improvisationen des Organisten (und versierten Komponisten) Jürgen Essl. Sie sind nach Titeln von Gemälden von Bernhard Heisig (*1925 in Breslau) entstanden, der als ein Hauptvertreter der „Leipziger Schule“ zu DDR-Zeiten galt. Mit pointillistischen Signalen des kräftig intonierten Zungenchors wird die Kleine Blasmusik introduziert. Auf dem Weg nach Strohdene, benannt nach einer kleinen, an der Grenze zu Sachsen-Anhalt gelegenen Ortschaft im Brandenburgischen, spielen sogar die „perkussiven“ Geräusche der hörbaren Orgeltechnik eine konstruktive und improvisatorisch-krea­tive Rolle. Im Trompetentanz trumpfen nochmals eindrucksvoll die Zungen auf, umrankt von rhythmisch akzentuierter Figuration. Auf dem Waldweg durchwandert der CD-Hörer, vermittelt durch allerlei registriertechnischer Spezialeffekte, eine zuweilen kontemplative, fast klagende, dann aber auch wieder tirilierende Welt von Vogelrufen und verträumter Waldidylle. Bei aller beim Hörer vorauszusetzenden fan­ta­sievollen (inneren) Vorstellungskraft wäre es doch naheliegend – wohl auch leicht möglich – gewesen, die vier betreffenden Gemälde im Booklet abzubilden.

Christian Ekowski