Tunder, Franz (1614-67)

Sämtliche Orgelwerke

hg. von Michael Belotti

Verlag/Label: Breitkopf Urtext, Edition Breitkopf 8825
erschienen in: organ 2013/01 , Seite 60

Diese kritische Neuausgabe der Orgelwerke Franz Tunders basiert gemäß dem Vorwort des Herausgebers auf einer „Neubewertung“ der Quellen. Welche Konsequenzen ergeben sich nun ganz praktisch-editorisch daraus im Vergleich zur etablierten, von Klaus Beckmann im gleichen Verlag betreuten Ausgabe (Breitkopf 6718)?
Wie im Vorfeld bereits zu ahnen gewesen, fallen diese Unterschiede letztendlich gering, wenn nicht gar marginal aus. Der Werkbestand als solcher ist und bleibt unverändert, und es liegen weiterhin dieselben Quellen zugrunde. Abweichungen beschränken sich auf einzelne Töne und – an wenigen Stellen – auf abweichende Akzidenzien. Unterschiede im Notenbild sind hauptsächlich mehr oder minder geschmacksbedingten typografischen Vorlieben in der Notation geschuldet und machen keine klanglichen Unterschiede. Die deutlichsten Veränderungen gegenüber der Beckmann-Ausgabe hat die Choralbearbeitung Auf meinen lieben Gott erfahren. Hier kommt Belotti durch eingehende Analyse der Tabulatur zu einer differenzierteren Manualverteilung. Etwas übersichtlicher gelingt auch die Darstellung der Manualwechsel in der Fantasie über Christ lag in Todesbanden.
Für die neue Ausgabe insgesamt sprechen einige Aspekte, die einem der historischen Aufführungspraxis geschuldeten, höchst respektvollen Umgang mit dem Quellentext zu danken sind: Wo durch fehlerhafte oder beschädigte Quellen Ergänzungen notwendig waren, sind diese gut erkennbar im Kleinstich eingefügt. Gleiches gilt für ergänzte Einzeltöne und Bögen, Letztere gestrichelt und sofort als sekundäre Zutat identifizierbar. Auch der kritische Bericht hat an Übersichtlichkeit gewonnen und lädt nun wirklich zum Lesen ein.
Für jeden „Experten“ in Sachen hanseatischer Orgelbarock und ebenso für TeilnehmerInnen an einschlägigen Wettbewerben ist es eine fast selbstverständliche Verpflichtung, sich stets auf dem neuesten Stand der Forschung zu halten. Diese werden sicher mit Gewinn die beiden Ausgaben miteinander vergleichen, wie auch immer die individuelle interpretatorische Entscheidung am Ende ausfallen mag. Dem im Kirchendienst stehenden Praktiker kann für die gottesdienstlichen Belange selbstverständlich auch die ältere Breitkopf-Edition weiterhin gute Dienste leisten.

Axel Wilberg