Schumann, Robert
Sämtliche Orgelwerke
Studien für den Pedal-Flügel op. 56. Sechs Stücke in canonischer Form / Skizzen für den Pedal-Flügel op. 58 / Sechs Fugen über den Namen BACH für Orgel op. 60
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Versäume keine Gelegenheit, dich auf der Orgel zu üben diese Empfehlung aus seinen Musicalischen Haus- und Lebensregeln schrieb Robert Schumann allen Klavierschülern künftiger Generationen ins Stammbuch. Und für diejenigen, die es wirklich ernst damit meinten, schrieb er neben den sechs BACH-Fugen für die Orgel zehn kanonische Studien und Skizzen für den Pedalflügel. Wer hätte gedacht, dass es zu so etwas wie einem Schumann-Boom auf der Orgel kommen würde? Diesen Eindruck vermitteln eine ganze Reihe jüngerer Veröffentlichungen auf dem Fonomarkt: rund ein Dutzend Gesamteinspielungen sind derzeit available.
Die Zahl von Einspielungen einzelner Opus-Nummern für Orgel oder Pedalflügel dürfte Legion sein. So hat beispielsweise Olivier Latry sich des Schumann-Themas an der Cavaillé-Coll-Orgel in St-Omer erfolgreich angenommen, ebenso wie sein Landsmann Bruno Morin auf dem für Schumann überdimensionierten Instrument desselben Orgelbauers in der Pariser Kirche St-Sulpice. Warum auch nicht? Cavaillé-Coll war Zeitgenosse Schumanns, der wie dieser orchestral empfand und so manche Inspiration aus dem deutsch-romantischen Orgelbau empfing, vorab von Eberhard Friedrich Walcker aus Ludwigsburg. Beide hier in Rede stehenden CDs sind an Walcker-Orgeln unterschiedlicher Perioden entstanden (wie zuvor bereits die Einspielung Ludger Lohmanns im schwäbischen Neuhausen: E. F. Walcker, 1854/32/II/P).
Wer es ganz genau nimmt, müsste mit Blick auf den CD-Titel Sämtliche Orgelwerke (Berlin Classics) eine milde Form des Etikettenschwindels rügen. Einzig die sechs BACH-Fugen weist ihr originaler Werktitel explizit als Orgelstücke aus. Die restlichen interpretatorisch wohl ergiebigeren Stücke wurden für den Pedalflügel geschrieben. Allerdings ist dieses instrumentengeschichtliche Unikum im pianistischen wie organistischen Alltag heute faktisch nicht mehr präsent. Es hatte sich im späten 18. Jahrhundert aus dem Pedalclavichord entwickelt, das die Organisten vorzugsweise als Übungsinstrument einsetzten. Auch im 19. Jahrhundert diente der Pedalflügel dem nämlichen Zweck.
Schumann war jedoch primär von dieser Sonderform des Flügels begeistert, weil er dem Klavier damit neue Perspektiven der Kompositionstechnik zu eröffnen hoffte, und dies ganz speziell im Hinblick auf eine kontrapunktische Stilistik. Clara Schumann notiert im April 1845 in ihr Tagebuch: Am 24. April (1845) erhielten wir ein Pedal unter den Flügel zur Miete, was uns viel Vergnügen schaffte. Der Zweck war uns hauptsächlich, für das Orgelspiel zu üben. Robert fand aber bald ein höheres Interesse für dies Instrument und komponierte einige Skizzen und Studien für den Pedalflügel, die gewiss großen Anklang als etwas ganz Neues finden werden. Dieses Instrument so Clara förderte die bereits bestehende Fugenpassion ihres Mannes. So ist von Robert Schumanns Bach-Begeisterung in der Literatur allenthalben viel die Rede.
Aber Schumann wäre kaum er selbst gewesen, wenn er die überkommenen Techniken des Kontrapunkts nicht auf geniale Weise mit der ihm eigenen musikalisch-poetischen Einbildungskraft gepaart hätte. Eine erste Gruppe von Werken für diesen schillernden Instrumentenzwitter, der inzwischen auch am Leipziger Konservatorium eingeführt war, sich auf Dauer in der Musikpraxis jedoch nicht behauptete, stellte Schumann im Mai 1845 fertig und bemerkte dazu: Offen gesagt, ich lege einiges Gewicht auf die Idee, und glaube, daß sie mit der Zeit einen neuen Schwung in die Claviermusik bringen könnte. Ganz wundervolle Effecte lassen sich damit machen.
Es ließe sich nun trefflich darüber streiten, ob Pedalflügel und Orgel stilistisch kompatibel bzw. so einfach miteinander vertauschbar sind. In der Tat erweisen sich in den Pedalflügelstücken Schumanns viele Figuren als klavieristisch empfunden. Allein: Die klangliche Verlebendigung der drei Werksammlungen auf der Orgel gelingt wie auch die beiden vorliegenden Einspielungen dokumentieren rundweg überzeugend. Die stilistische Antinomie einer barockisierenden Romantik tritt unterdessen vielleicht noch deutlicher hervor als auf einem Pedalflügel. Instrument, Spiel- und Aufnahmetechnik sind bei beiden CDs optimal aufeinander abgestimmt.
Mario Hospach-Martini beweist mit seiner Einspielung an der vergleichsweise etwa doppelt so großen Orgel der Stadtkirche Winterthur, dass es sich hierbei keineswegs um bloße Etüdenliteratur handelt. Mit empfindsamer, kreativer Klangfantasie lotet er den Stimmungsgehalt dieser hochromantischen Charakterstücke auf der Orgel aus. Beeindruckend die Vielfalt und träumerisch-berückende Schönheit der streichenden Register, die bei Hospach-Martini reichlich zur Anwendung kommen. In seiner Darstellung gewinnen die sechs Fugen der akademischen Form gleichwohl eine farbige Harmonik und Kantabilität der Stimmführung ab. Packend die energische Gestaltung der beiden rahmenden, größeren Steigerungsfugen, für die die Walcker-Orgel hinreichend dynamische Möglichkeiten und force im feierlichen Plenum bereithält. Eine vorzügliche und gültige Schumann-Interpretation auf der Orgel.
Mehr noch als Hospach-Martini überzeugt Andreas Rothkopf mit seinem Schumann-Intégrale. Dies beginnt eigentlich schon mit der Wahl des zwar wesentlich kleineren, dafür aber auch wärmeren (poetischeren) Instruments, dessen Erbauungszeit präzise mit eben dem Jahr 1845 zusammenfallen dürfte, in dem sich die Schumanns eine Pedalklaviatur geliehen hatten. Als dagegen die Orgel 1888 in Winterthur errichtet wurde, war Schumann bereits 32 Jahre und Eberhard Friedrich Walcker immerhin zwölf Jahre tot, und die Werke dieser späten Periode unterschieden sich freilich auch klanglich von den frühen Werken Walckers aus den 1830er und 1840er Jahren.
Zudem merkt man der bis in die feinste Kapillarstruktur ausgeklügelten Interpretation Rothkopfs an, dass der in Saarbrücken lehrende Hochschullehrer für Künstlerisches Orgelspiel zugleich ein ganz vorzüglicher Klavierist ist, der seine pianistischen Weihen in der Meisterklasse von Günter Ludwig in Köln empfing. Anleihen an die Klangwelt von Schumanns allbekannten Klavierzyklen Kreisleriana und Kinderszenen bleiben dem Kenner nicht verborgen. Rothkopf stellt konsequent die romantische Gefühlswelt und Poesie Schumanns in den Vordergrund seiner leidenschaftsvollen Orgeldarbietung; Schumann selbst sprach im Hinblick auf diese Kompositionen übrigens selbst von romantischen Charakterstücken. Rothkopf offenbart hier seine außergewöhnliche spielerische Begabung, technisch tadellos, gestalterisch einfach souverän! Und was bei Schumann so überaus wichtig ist: Rothkopf beweist nahezu mit jedem einzelnen Takt mentale Beweglichkeit und Mut zu klanglichem Eigensinn. Dazu kommt seine superbe Registrierkunst. Eine vornehm dosierte Agogik bei stets geschmeidig-pianistischer Artikulationsfähigkeit paart sich in dieser Veröffentlichung mit hundertprozentiger werkadäquater Partiturtreue. Mit dem Komponisten selbst ließe sich mit Blick auf dieses gelungene Intégrale der Schumann-Werke auf der Orgel dankbar-anerkennend resümieren: Ja, der Dichter hat gesprochen
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Wolfram Adolph