Distler, Hugo (1908–42)

Sämtliche Orgelwerke

Verlag/Label: 2 CDs, Ambiente ACD-2033 (2016)
erschienen in: organ 2017/01 , Seite 57

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Diese Doppel-CD ist ein Gesamtkunstwerk! Man kennt von Hugo Distler (kennt man ihn wirklich noch oder gehört er schon in die Rubrik „Alter Hut von vorgestern“?) vor allem die größeren Werke, nämlich die zwei Choral-Partiten, vielleicht noch die Trio-Sonate und einige Beispiele aus den Kleinen Choralbearbeitungen. Was für ein Mikrokosmos sich noch in seinem Werkverzeichnis tummelt, erschließt sich nur mit einiger, manchmal mühevoller Neugier. Johannes Hämmerle geht mit solch unüberhörbar forschender Neugier ans Werk, an das gesamte Orgelwerk Hugo Distlers, der in gewisser Weise auf Altem aufzubauen beabsichtigte, aber unversehens und unverkennbar Eigenes schuf. Hämmerle, 1975 in Dorn­birn/Vorarlberg geboren, studierte u. a. in Wien, unterrichtete in Regensburg und ist als Domorganist in Feldkirch tätig. Dort steht ihm eine qualitätvolle Metzler-Orgel von 1976 mit III/ 35/P zur Verfügung.
Man hat seine helle Freude an Hämmerles Distler. Mit feinnerviger Technik, sorgfältiger Artikula­tion und wie selbstverständlich überschäumender Musikalität bewältigt der Organist die selbst gestellte ambitionierte Aufgabe. Neben den gro­ßen, bekannten Opera sucht er auch die Nischen auf und bietet Unbekanntes, das sich in kaum verbreiteten Sammlungen versteckt.
Die CD beginnt mit „Nun komm, der Heiden Heiland“ op. 8/I. Schon hier zeigt der Interpret eine muntere Technik, die nicht vordergründig bleibt – so etwa in Variation 5, die sehr flink daherkommt und die Fanfaren im Pedal geradezu tänzerisch-leichtfüßig bewältigt. In der Chaconne geraten dann manche Praller ein wenig zu undeutlich, sie scheinen sich vor lauter Spielfreude fast zu überschlagen. Auch „Wachet auf“, die Partita op. 8/II, sprüht in beeindruckendem Tempo, jedoch nie zu übereilt. Hämmerle gelingt auch immer wieder eine geeignete Regis­trierung, wenn auch die Farben des Instruments mitunter leicht geglättet wirken und nicht so kratzig wie an der historischen Stellwagen-Orgel von St. Jakobi Lübeck, die der Komponist etwa für sein op. 8/I anführt. Auf die beiden Partiten folgen die Choralbearbeitungen op. 8/III, wirklich exemplarische Beispiele großartiger Liedvorspiele, denen Distler ebenso exemplarische Begleitsätze zur Seite stellt, die ihre cantus firmi frei entfalten können und darum der Gemeindebegleitung äußerst dienlich sind. Auch hier beeindruckt/brilliert Hämmerle mit rhythmischer Präzision, die sich stets den musikalischen Anforderungen unterordnet.
Die Dreißig Spielstücke op. 18/I nicht nur für Orgel (ohne Pedal), sondern auch für andere geeignete Tasteninstrumente stellen wiederum große technische Anforderungen an Virtuosität und profunde Technik, auch wenn sie einen durchsichtig-leichten Eindruck vorgeben. Keine Frage: Hämmerle bewältigt auch diese Sammlung mit der gleichen fingerfertigen Musikalität wie die großen Werke und wählt dabei eine abwechslungsreiche, immer kammermusikalische Farbe, die den kleinen, aber innerlich großen Stücklein wunderbar entspricht. Nur gelegentlich scheinen manche von Distler geforderten „flinken Viertel, punktiert“ etwas gemächlich und manche „langsame Ganze“ eher als langsame Halbe, und ebenso gelegentlich geraten manche Schlussakkorde im spielfreudigen Eifer zu kurz (Schluss der 2. und 3. Variation bei „Frisch auf, Gesell“); genauso eine Ausnahme bleibt die nicht ausgezählte Pause gegen Ende von Nr. 30. Dafür beeindrucken die erstaunlich behänden, fast überschnellen Tonrepetitionen, mit denen Hämmerle die Traktur herausfordert.
Hämmerle gibt noch drei wei­tere, kaum bekannte Distler-Werke dazu, Bearbeitungen über „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ“, „Wie schön leucht’ uns der Morgenstern“ und das Kleine Konzert „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ – Letzteres mit So­pran-Solo. Zusammen mit der Sängerin Birgit Plankel ergänzt der Organist die Doppel-CD mit den Geistlichen Konzerten op. 17. Die Sopranistin erfreut mit ihrem unprätentiösen Stimmklang und stark reduziertem Vibrato. Ihr leuchtender Gesang, ihr leichter Piano-Ansatz in der Höhe und ihre sich ganz in den Dienst Distlers stellende klare Interpretation machen diese drei kleinen Konzerte zu einem eigenen Juwel innerhalb dieser Doppel-CD. Besonders die virtuose Stimmakrobatik, die Distler bei „Freuet euch in dem Herrn allewege“ fordert, kommt immer wie selbstverständlich daher – und offenbart ein großartiges Zusammenspiel von Kehlkopf und Taste.
 Selbstverständlich führt das Booklet ausführlich in die Ent­stehung der Distler’schen (Orgel-) Mu­sik ein, zeigt die Disposition des Metzler-Opus und die Vitae der beiden Interpreten. Beileibe nicht nur für Distler-Freunde eine wahre Hörfreude!

Klaus Uwe Ludwig