Kerll, Johann Caspar

Sämtliche freie Orgelwerke

Verlag/Label: NCA 60248 (2011)
erschienen in: organ 2012/02 , Seite 50

5 von 5 Pfeifen

Die Barockorgel der Franziskanerkirche Wien dürfte jedem Orgelfreund allein schon durch die Abbildung in Hans Klotz’ Buch von der Orgel ein Begriff sein. Dass dieses Instrument diskografisch bisher eher unterrepräsentiert war, könnte auch an dem bislang eher mäßigen Zustand des Werks gelegen haben. Anhand der vorliegenden Aufnahme darf man sich nun überzeugen, dass sich die Situation nach der kürzlich erfolgten Restaurierung durch die Werkstatt Thomas Kuhn (Schweiz) grundlegend geändert hat.
Die Wahl der Werke Kerlls für eine erste Aufnahme ist durchaus nachvollziehbar, könnte Kerll in seiner Wiener Zeit eben diese Orgel doch selbst gespielt haben. Seine Orgelwerke zeugen von kompositorischer Fantasie, Spielfreude und technischem Können, verbunden mit einem sicheren Gespür für wohlplatzierte Effekte. Die Toccaten präsentieren sich hier glanzvoll virtuos, die Canzonen spritzig, mit einfallsreichen wie gleichermaßen volkstümlichen Themen. All diese Eigenschaften führten dazu, dass Kerlls Werke noch weit nach seinem Tod hoch geschätzt wurden.
Und tatsächlich: Hier liegt im Zusammentreffen von Musik, Orgel und Interpret ein besonderer Glücksfall vor. Das strahlende Prinzipalpleno ist in seiner Brillanz und Durchsichtigkeit ideal zur Darstellung der Toccaten. In den Canzonen kommen zahlreiche farbige Flötenmischungen zur Anwendung. Dabei entdeckt man Farben von geradezu betörender Schönheit wie das geheimnisvoll leise Khrumphörner im Brustwerk oder die in der Toccata cromatica verwendete Mischung der beiden Copel 8’ mit Tremulant.
Wolfgang Kogert bleibt der Musik in nichts schuldig. Sein Spiel zeichnet sich durch zupackende Verve, rhythmischen Drive und plastisch sprechende Artikulation aus. Dem auf Dauer etwas ermüdenden bekannten Capriccio sopra il cucu weiß er durch geschickte und überraschende Agogik neues Leben zu geben. Schöner und lebendiger kann man diese Musik nicht spielen. Mit dieser Referenzaufnahme setzt Kogert Maßstäbe.
An den Verlag bleibt der dringende Wunsch, die hervorragende Reihe mit historischen Orgeln in Österreich (die Aufnahmen mit Wolfgang Kogert in der Michaelerkirche Wien und Jeremy Joseph in Klosterneuburg wurden an dieser Stelle schon besprochen) möge recht bald auf gleichem Niveau fortgesetzt werden.

Axel Wilberg