Regina Renata – Die Orgel in St. Katharinen Hamburg

Verlag/Label: Es-Dur, ES 2050 (2013)
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 48
5 von 5 Pfeifen
 
Ein wahrhaft stolzes und großes Werk, „eine Orgel für Bach in St. Katharinen Hamburg“ sollte es werden: die im Jahre 1943 zerstörte und nun wieder erstandene weltberühmte Renaissance-/Barockorgel, an deren Entstehung die Orgelbauer Scherer, Fritzsche, Stellwagen und Besser beteiligt waren. Andreas Fischer, kirchenmusikalischer Hausherr in St. Katharinen, hatte – unter Wiederverwendung von insgesamt 520 historischen Pfeifen – die glorreiche Renaissance der „alten“ Hauptorgel in der traditionellen Kirche der Seefahrer in der Freien und Hansestadt, direkt gegenüber der historischen Speicherstadt am Hafen gelegen, seit dem Jahre 2005 überaus erfolgreich ins Werk gesetzt. Nach jahrelanger vorgängiger Planungsphase konnte das monumentale, knapp dreieinhalb Millionen Euro teure 32-Fuß-Werk als eine Ikone des hanseatisch-hamburgischen Orgelbarock 2013 nach sechsjähriger Bauzeit feierlich in Dienst genommen werden. An dem Originalinstrument wirkten im 17. und 18. Jahrhundert die bereits zu Lebzeiten hoch berühmten Organisten Heinrich Scheidemann und Johann Adam Reincken. Johann Sebastian Bach spielte im Jahr 1720 hier sein legendäres Hamburger Orgelkonzert. 
Regina Renata – die wiedergeborene Königin (auch wenn organum im Lateinischen nicht feminin ist und Mozart vom „König aller jinstrumenten“ sprach): ein suggestiver, gesteigerte Hörerwartungen evozierender CD-Titel. Auf der vorliegenden diskografischen Erstdokumentation sind gleich drei „Hamburger“ Organisten vertreten: Andreas Fischer (St. Katharinen) sowie Pieter van Dijk und Wolfgang Zerer, beide Orgelprofessoren an der Hamburger Musikhochschule, die als musikalische Fachberater die jahrelange Vorbereitungsphase des wissenschaftlich anspruchsvollen rekonstruktiven Wiederaufbaus durch die einschlägig stilerfahrene niederländische Werkstatt Flentrop (Zaandam) intensiv begleiteten. Sie haben für ihr stilistisch bunt gemischtes Kaleidoskop Werke der Katharinen­organisten Scheidemann, Reincken sowie von J. S. Bach, Degenhardt und Distler zusammengestellt und somit nicht allein die eindrucks­vollen klanglichen und stilis­tischen Res­sourcen der „neu­en“ Katharinenorgel für den Hörer erlebbar gemacht. Die einzelnen Programmpunkte stehen zu­dem mit der bedeutenden Geschich­te des Instruments in enger Verbindung.
Großartig, fesselnd und überwältigend ist der überaus majestätische Plenumklang, gekennzeichnet von strahlenden norddeutschen (prinzipalischen) Mixturplena und labial wie lingual 32 gegründetem Bassfundament, auch wenn manches (noch) etwas sehr neu und wenig „patinös“ klingen mag. Eindrucksvoll untermalt Wolfgang Zerer im initial musizierten Magnificat VI. Toni von Scheidemann diesen Eindruck und dokumentiert damit zugleich mustergültig ein Stück Selbstbewusstsein des musikalisch-hansestädtischen Luthertums im Hochbarock, das seine HörerInnen bis heute – nicht zuletzt dank der hier obwaltenden instrumentalen Autorität in der Deklamation – intellektuell wie emotional imperativ zu ergreifen vermag. Elegant und unaufdringlich erweist sich durchweg die gemäßigt ungleichstufige Stimmung nach Bach-Kellner. 
Bezaubernd sprechen Querflöte, Oboe d’amore sowie Principal 16’ in Bachs kontrapunktisch vertrackter Chorbearbeitung An Wasserflüssen Babylon, das Pieter van Dijk in gemessener Strenge und mit dekorativer Finesse interpretiert. Von Bach spielt Fischer mit Gravität und mitreißendem großen spielerischen Fluss dessen Fantasie mit ausladender Fuge in g-Moll (über ein niederländisches Volkslied) BWV 542 in durchgehender Plenumegistrierung. Gleichermaßen überzeugend gelingt zudem Degenhardts genuin romantisches Concertstück in f-Moll wie auch Distlers tonal herbere Partita über „Wachet auf“ opus 8/2, ebenfalls von Fischer fesselnd interpretiert.
Bach selbst soll sich über „die Schönheit und Verschiedenheit des Klanges“ der 16 [sic!] Zungenregis­ter der anlässlich seiner Hamburger Bewerbung gespielten Katharinenorgel überaus begeistert gezeigt haben, wie uns Agricola berichtet: „In der St. Catharinenkirchenorgel in Hamburg sind gar 16 Rohrwerke. Der seel. Capelmeister Hr. J. S. Bach in Leipzig, welcher sich einstmals 2 Stunden lang auf diesem, wie er sagte, in allen Stücken vortrefflichen Werke hat hören lassen, konnte die Schönheit und Verschiedenheit des Klanges dieser Rohrwerke nicht ge­nug rühmen. […] Der seel. Kapellmeister Bach in Leipzig, versicherte eine ähnliche gute und durchaus vernehmliche Ansprache bis ins tiefste C, von dem 32füßigen Principale, und der Posaune im Pedale der Catharinenorgel in Hamburg: er sagte aber auch, dies Principal wäre das einzige so groß von dieser guten Beschaffenheit, das er gehöret hätte.“ (Joh. Friedr. Agricola: Musica Mechanica Organoedi, Berlin 1768) 
Entsprechend lassen sich die eindrucksvollen (bzw. eindrucksvoll gelungenen!) Rohrwerke auf der vorliegenden CD ausgiebig bestaunen. Kaum weniger beeindrucken die vielen unterschiedlichen charakteristischen Labialstimmen der zu Bachs Zeiten (Disposition nach Mattheson: 61/IV/P-32’) größten Orgel der Welt. Herrlich der ausgesprochen sonore Principal im Oberwerk und die Hohlflöte im Rückpositiv mit charaktervoll-kernigem Körper. 
Erfreulicherweise hielt die Aufnahmetechnik respektvoll-gebotenen Abstand zu dem königlichen Werk, so dass sich der Orgelklang im immerhin 29 Meter hohen „kathedralen“ Raum des Mittelschiffs zu einem wahrlich satten und majes­tätisch abgerun­deten Klangbild entfalten konnte. Gleichwohl verliert die nachhallfreudige, zugleich aber stets luzide Akustik keine einzige der vielfältigen Detailschönheiten in den kammermusikalischen Solo- bzw. Consort-Regis­trierungen (kraftvoll deklamierende Prinzipale sowie poe­sievolle, weiche Flöten). Dies gilt ebenso für das räumlich überaus plastische Wechsel- und Echospiel der miteinander dialogisierenden/ respondierenden Teilwerke. 
Man darf jetzt schon gespannt sein auf künftige CD-Einspielungen auf diesem klanglich wie stilis­tisch unendlich farben- und variantenreichen Ausnahmeinstrument.
Wolfram Adolph