Fraunberger, Stefan

Quellgeister #1

Verlag/Label: chmafunochords (2014)
erschienen in: organ 2014/02 , Seite 56

4 von 5 Pfeifen

Durch ein dumpfes Klappern öffnet sich die Akustik des Raums. Bei schwachem Winddruck folgen säuselnde, wimmernde Klagelaute. Erst bei voller Motorleistung blähen sich diese seltsam fremden Klänge zu den bekannten Pfeifentönen einer Orgel auf. Doch das Instrument bleibt kurzatmig. Der Luftzug bricht erneut ein und die erschlaffenden Töne versacken in glissandierenden Flageoletts. Und selbst das mit Luft komplett vollgepumpte Instrument will nicht die gewohnte Pracht altbekannter Register und Mixturen entfalten. Es ist nicht gleichschwebend intoniert, im Gegenteil, es ist verstimmt und wurde offenbar seit geraumer Zeit nicht mehr sachgemäß gewartet. Daher schleichen sich in manche Akkorde irisierende Schwebungen und beginnen tiefe Basstöne sich zu dunklem Wummern zu überlagern, als handle es sich um dröhnende Motoren oder rein elektronisch generierte Sounds. Bei bestimmten Pfeifen oder Trakturen entweicht sogar Luft rauschend durch Risse und Ritzen.
Tatsächlich manipuliert Stefan Fraunberger nicht nur den Winddruck der Orgel, sondern ist die von ihm bespielte Kirchenorgel im transsilvanischen Dorf Christian ohrenscheinlich schadhaft. Laut Angaben des österreichischen Komponisten und Organisten handelt es sich um eine allenfalls noch „semifunktionale“ Orgel, die mit ihrer alten Holzmechanik aus dem 18. Jahrhundert nur noch „viertel-intakt“ ist. Das Programm der von ihm mit Quellgeister #1 eröffneten „Serie von klanglichen Skulpturen“ ist es, sich auf einer Reise durch Rumänien mittels Ausprobieren, Mikrofonieren und Aufnehmen – ähnlich den nagenden Ratten, Insekten, Pilzen und Zähnen der Zeit – in alte Orgeln zu „fressen“. Bei aller Tragik des drohenden Verlusts – die dabei resultierenden Aufnahmen sind einfach fantastisch: Denn der Zustand fortschreitenden Verfalls befreit die Orgel von ihrer sonst hochgradigen Besetzung als hehres liturgisches Gebrauchsinstrument. Statt wie sonst üblich einfach Musik auf diesem Instrument zu spielen, macht die halbstündige Aufnahme auf dieser ers­ten CD von Fraunbergers geplanter Reihe deutlich, dass vielmehr dieses alte Instrument selbst gespielt wird, mit all seinen Mängeln. Gerade die intonatorischen und me­chanischen Defekte verfremden die Orgel zu eben jener mechanischen Musikmaschine, die sie ihrer Bauweise nach ist, über die jedoch die meiste darauf gespielte Musik hinwegtäuscht.
Fraunbergers Ton- und Registerauswahl, Manipulationen und Abmischungen lassen die Orgel jene Ähnlichkeit mit sich selbst verlieren, die viele zeitgenössische Komponisten hartnäckig davon abhält, für dieses großartige Instrument zu komponieren. Erst nach längerem dumpfen Grollen platzen umso schockhafter mit vollem Werk gleißend hell aufstrahlende Trompeteria-Akkorde heraus und klingt mit heiteren Figurationen über einem Orgelpunkt ein Moment der traditionellen Spielweise des Instruments an. Doch ein letztes Auffauchen führt schließlich zum endgültigen Verröcheln schwankender Pfeiftöne: drastischer Hinweis auf den drohenden Exitus eines Instruments.

Rainer Nonnenmann