Nicolas de Grigny

Premier livre d’orgue

Verlag/Label: 2 CDs, Nimbus NI 6342 (2017)
erschienen in: organ 2017/04 , Seite 56

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Nicolas de Grigny (1672–1703) zählt als „Großmeister“ fraglos zu den herausragenden und wichtigsten Orgelkomponisten des ausgehenden 17. Jahrhunderts in Frankreich und, darüber hinaus, in ganz Europa. Bedeutende Zeitgenossen wie Johann Sebastian Bach oder Johann Gottfried Walther zollten ihm Tribut, indem sie (Teile) seines Livre d’orgue kopierten und – wohl auch gewinnbringend – studierten.
De Grigny wurde 1672 in Reims in eine musikalische Familie hineingeboren, erhielt von Ende 1680 bis etwa Mitte 1690 Unterricht bei einem anderen Großen seiner späteren Zunft: Nicolas Lebègue, der zu dieser Zeit einer der Organisten der Chapelle Royale und zugleich Meis­ter der Orgel von Saint-Merri in Paris war. Diese günstigen Verhältnisse ermöglichten es de Grigny wohl, von 1693 bis 1695 Organist an der Abteikirche von Saint-Denis bei Paris zu werden. 1697 wurde er dann endgültig und bis zu seinem frühen Tod im Alter von nur 31 Jahren Organist der französischen Königskathedrale zu Reims.

Sein einziges überliefertes Werk – Premier livre d’orgue contenant une messe et les hymnes de principalles festes de l’année aus dem Jahre 1699 – ist gleichwohl ein unerreichter Gipfel liturgischer französischer Orgelmusik der Zeit. De Grigny verwendet in der Messe (Kyrie, Gloria, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei) typischerweise nicht nur und nicht alle Teile des Ordinariums, er erweitert sie auch um Teile des Propriums (Offertoire, Deo gratias). Die für den Kanon der französischen Orgelmusik bedeutsamen klanglichen „Festschreibungen“ werden in den Titeln der einzelnen Abschnitte ge­nannt („sur les grands jeux“ etc.). Und hier erweist sich de Grignys besondere Meisterschaft in der kompositorisch extrem dichten Ausgestaltung der Duos, Trios, Dialogues und Récits. Von besonderer Delikatesse sind die Fugen, die de Grigny grundsätzlich auf fünf Stimmen erweitert und auf zwei Manuale (Cornet für die beiden oberen Stimmen, Cromorne für die folgenden zwei) und Pedal (für die fünfte Stimme) aufteilt. Die Pedalpartien lassen vermuten, dass de Grigny ein besonderer „Virtuose“ seiner Epoche auf dem Pedal war …

De Grignys Orgel in Reims ist bedauerlicherweise nicht erhalten, lediglich ihr prachtvolles Gehäuse ziert bis heute das nördliche Querhaus der Kathedrale. Der britische Organist und Cembalist David Ponsford hat sich nun der Aufgabe einer Gesamteinspielung des Premier livre unterzogen und sich hierbei einer Orgel versichert, die – im Gegensatz zu den bekannten Instrumenten aus dem späten 18. Jahrhundert von Cliquot, Isnard, Dom Bedos – wohl dem ursprünglichen Instrument in Reims nahekommt. Die von Jean-François Lépine erbaute Orgel der Kathedrale von Sarlat-la-Canéda aus dem Jahr 1752 verfügt bei 38 Registern über vier Manuale und eine ungewöhnlich reiche Pedaldisposition (u. a. mit eigenem „Jeux de tierce“). Um es gleich zu sagen:?Der Klang ist etwas heller und durchsichtiger, in manchen Mischungen auch kammermusikalischer als bei den sonst bekannten großen Instrumenten vom Ende des Jahrhunderts, zugleich brillant im Grand jeu. Überragend schön klingen die Einzelstimmen, die Ensembles unterstützen wunderbar die Durchhörbarkeit der entsprechenden dichteren Sätze.

Ponsford ist ein hervorragender Kenner dieser herrlichen Musik. Seine geschmackvolle Umsetzung der Verzierungen und sein meisterliches – offensichtlich von großer Erfahrung getragenes – Spiel bietet reines Hörvergnügen! Erfreulich vor allem die klangliche Gravität der „Pleins jeux“, die Ponsford ausnahmslos auf satter 16-Fuß-Basis registriert (was er auch klug im Begleittext darlegt). Die Schlüssigkeit seines Spiels in den fünfstimmigen „Fugues“ ist beeindruckend. Zu den einzelnen Teilen der Messe und der Hymnen erklingt choraliter jeweils Gregorianisches, ausgeführt von der britischen Schola „Lécole de Nivers“ und intonatorisch delikat unterstützt durch ein Serpent.

Christian Brembeck