Prague – L’âge d’or baroque

Werke von Johann Caspar Ferdinand Fischer, Josef Ferdinand Norbert Seger, Johann Kaspar Kerll, Gottlieb Theophil Muffat und Karel Blazej Kopriva

Verlag/Label: Edition Hortus, Hortus 053 (2008)
erschienen in: organ 2010/01 , Seite 62

Bewertung: 4 Pfeifen

Der weitgereiste und kenntnisreiche englische Musikhistoriker Char­les Burney, der 1772 Prag besuchte, hat den Organisten der dortigen Teynkirche, Josef Ferdinand Norbert Seger, einen der führenden Orgelvirtuosen und Improvisationskünstler der Mitte des 18. Jahrhunderts genannt. Er bezeugt in seinen Aufzeichnungen Segers gute Kennt­nis der europäischen Musik seiner Zeit. Und auch umgekehrt war Josef Ferdinand Norbert Seger kein Unbekannter:?Auch Johann Sebas­tian Bach soll Abschriften seiner Werke besessen haben.
Zur schulischen Ausbildung nach Prag an das dortige Jesuitenkolle­gium geschickt, blieb der 1716 im böhmischen Repin geborene Seger sein Leben lang in dieser Stadt. Seine Laufbahn als Kirchenmusiker – er hatte anfangs unter Musikern wie Franz Benda, Franz Brixi und Jan Zach, die wohl zu seinen Lehrmeis­tern zählen dürften, auch als Sänger und Geiger mitgewirkt – hatte den 25-Jährigen ab 1741 als Organisten an die Prager Teynkirche geführt, ab 1745 bekleidete Seger auch den Organistenposten an der Kreuz­herrenkirche. Kaiser Joseph II. soll von Segers Orgelspiel dort so begeistert gewesen sein, dass er ihn 1782 in die kaiserliche Kapelle berief – doch Seger starb im April 1782, noch vor seiner Ernennung.
Der preisgekrönte junge tschechische Organist Pavel Kohout, der in Prag (Jan Kalfus, Jaroslav Tuma) und Amsterdam (Jacques van Oort­merssen) studiert hat, möchte mit seiner Einspielung einiger seiner Präludien und Toccaten den heute vergessenen Komponis­ten wieder ins Gedächtnis zurückrufen. Ko­houts hoch löbliches Engagement lässt Einblicke in eine Komponis­tenwerkstatt zu, die Josef Ferdinand Norbert Seger stilistisch als Nacheiferer Johann Sebastian Bachs zeigen. Segers Kenntnis von dessen Werken bezeugen nicht nur seine eigenhändigen Fugen auf originale Themen von Bach, von denen man weiß, sein Zu-Eigen-Machen von Bachs Charakteristika seiner Stimm­führung und Klangbehandlung beweisen auch die hier zu hörenden thematisch eigenständigen Orgelwerke. So stützt Seger im Werkpaar Präludium und Fuge c-Moll das Präludium auf ein streng durchgehaltenes Kontinuum seines bestimmenden motivischen Bauglieds, wo­bei die im Stimmensatz stets präsente Figur in immer wieder veränderte harmonische Spannungsverhältnisse getaucht wird. Das lebhaft gefugte Fugenthema verarbeitet Seger kontrapunktisch dicht mit frü­hen Engführungen.
Pavel Kohout weiß solcher Faktur, so etwa auch im Werkpaar Prälu­dium und Fuge C-Dur, mit dem er die CD eröffnet, eine angemessene konturendeutliche und gestische Kraft zu verleihen. Er lässt mit seinen Registermischungen auf der 1673 von Hans Heinrich Mundt erbauten und weitgehend original erhaltenen bzw. im Jahr 2000 von Johannes Klais (Bonn) auf den Stand der vorsichtigen Eingriffe Josef Gart­ners aus dem Jahr 1823 zu­rückgebauten Orgel der Prager Teynkirche die Textur leucht­kräftig und trans­parent werden und vermag den Klang doch auch wieder weich zu legieren. Den musikalischen Linien, so beispielsweise in Segers Fantasie und Fuge d-Moll, gibt er geschmeidigen Ausdruck, deren harmonischen Wagnissen ver­­leiht er ein spannkräftiges Profil.
Kohout hat den insgesamt sechs hier eingespielten Orgelwerken Josef Ferdinand Norbert Segers solche seiner Zeitgenossen Gottlieb Theophil Muffat (Aria sub Elevatione), Johann Kaspar Kerll (Canzone d-Moll, Passacaglia d-Moll) und Johann Caspar Ferdinand Fischer (Aria) beigestellt. In dem umfangreichen Variationenwerk des Letztgenannten gefällt Kohouts behutsames Herausheben der Varianten des figürlichen Beiwerks und sein bedächtiger Entwicklungsbogen, der alles Spektakuläre meidet. Angesichts seiner Darstellung von Kerlls Passacaglia d-Moll ist allerdings leise Kritik anzumelden: Kohouts in lebendig bewegtem Fluss gehaltenen Passacaglien-Wandlungen wäre bei den Änderungen des Metrums mehr beharrliche Festigkeit zu wünschen gewesen, da gibt Kohout im Tempo mitunter zu sehr nach. Mit einer Fuge d-Moll des Seger-Schülers Karel Blazej Kopriva (1756-1785) schließt Kohout seine Einspielung. Und der hatte sich hier einer nicht ganz einfach zu bewältigenden Aufgabe gestellt: Sein Fugen­thema mit einem Tritonussprung in der melodischen Linie schafft harmonisch natürlich besonders reizvolle Spannungen.

Thomas Bopp