de Jong, Margaretha Christina (* 1961)

Präludium, Choralpartita und Fuge über „Jesu, meine Freude“ op. 63 für Orgel solo

Verlag/Label: Dr. J. Butz Musikverlag, BU 2714
erschienen in: organ 2016/01 , Seite 63

Überfliegt man das Präludium und die sechsteilige Choralpartita mit raschem Blick, gewinnt man phasenweise den Eindruck, ein Orgelwerk des Thomaskantors vor sich zu haben. Die Stilkopie ist gewollt, der Anlass die Ehrenpromotion des japanischen Bach-Spezialisten Masaaki Suzuki durch eine (nicht genannte) niederländische Universität.
Im Präludium wechselt das Frage-Antwort-Spiel zwischen Tief- und Hochchor im 6/8-Wiegetakt hin und her, stiltypische Vorhaltsbildungen quasi endlos aneinanderreihend. Durchgehende Achtelfigu­ration im Alt, Tenor und Bass, mithin nicht im C.-f.-Träger Sopran, prägt die Partita I, in der Partita II figuriert der muntere Bass (16’, 8’- Trompete) gegen den akkordischen Oberstimmensatz der rechten Hand (a 2 Clav.). Der Beginn der Partita III (mit unterlegtem Text „Trotz dem alten Drachen“, Sopran) erinnert nachgerade an J. S. Bachs „Jesu meine Freude“-Bearbeitung aus dem Orgelbüchlein, der weitere Verlauf stre­ckenweise an Max Regers Barockparaphrasen. Cantus planus im Tenor mit schreitendem Harmoniebass und triolig figurierendem Diskant stellt die Satzanlage der Partita IV dar, anschließend ertönt ein monodischer Orgelchoral mit häufigen Vorhaltsbildungen. In der letzten (VI.) Partita ist der kompakte, auf durchgehende Sechzehntel angelegte Satz a 5 voci in Organo pleno dazu angetan, das Dunkel des Kreuzestodes mit aller Kraft zu vertreiben: Weicht, ihr Trauergeister!
In der vierstimmigen Fuge dient die erste C.-f.-Zeile als Thema, das in der Exposition regelkonform in Dux- und Comesform gereiht wird (T, A, S, B). Die zweite Staffel kommt mit B/Dux und S/Comes aus, eine fünftaktige modulatorische Episode führt nach B-Dur. In dieser Zieltonart erscheint das Thema nunmehr verdurt, zwei weitere Dur-Zitate in B und F folgen. Dem instrumental gedachten Moll-Dur-Wechsel des Fugensubjekts mag man zustimmen, aber die Liedweise lässt sich nur widerstrebend ihres charakteristischen vokal-molltonalen Profils berauben. Als weitere harmonische Ebenen werden noch g-Moll, c-Moll, f-Moll und wiede­rum c-Moll angesteuert. Die Verknüpfung der Einsätze erfolgt somit nicht im spätbarocken Sinne primär harmonisch in Quintbeantwortung, sondern eher in Form additiver Reihung. Dasselbe gilt für den Kontrapunkt: Nicht Linearität auf der Höhe des Leipziger Fugenmeisters herrscht vor, sondern im Grunde eine primär harmonische Einkleidung, die linear figuriert wird. Das ist allerdings eher nachbarock als spätbarock.
Hier scheiden sich die Geister. Wem nützt eine Bach-Imitation, sei sie auch streckenweise durchaus gelungen, im Fugensatz jedoch den Qualitätsunterschied offenbarend, was Individualität („Organisten­zwirn“) und kontrapunktische Satzkunst angeht. Bach, Bach, noch mehr Bach – zu befürchten ist, dass die Strahlkraft der einzigartigen Urbilder durch ein gutgemeintes Zuviel zugestellt wird.

Klaus Beckmann