Haas, Joseph

Präludien und Fughetten für Orgel

hg. von Gerhard Weinberger

Verlag/Label: Schott Music ED 22407
erschienen in: organ 2017/03 , Seite 54

Der Münchener Konzertorganist und emeritierte Detmolder Orgelprofessor Gerhard Weinberger hat jetzt bei Schott Music die Erstveröffentlichung von zwölf Präludien und Fughetten von Joseph Haas (1879–1960) besorgt, die bisher nur als autographe Handschrift vorlagen. Leider fehlen einige der Stücke, als deren Entstehungszeit etwa 1904–1909 angenommen werden kann, eine Zeit also, als Haas noch unter dem Einfluss seines Lehrers Max Reger stand. So erinnern die Miniaturen in vielerlei Hinsicht deutlich an diese monumentale spätromantische Gestalt, was die Durchsetzung der Stimmführung mit Chromatik, das „Mäandern“ durch die Harmonien und die in dynamischer und agogischer Hinsicht expressive Gestaltung angeht.
Die ersten zwei Satzpaare wurden bisher nicht aufgefunden, und so beginnt die Sammlung mit dem lebhaften Präludium III, das gleich zu Beginn das Manual-Motiv im Pedal augmentiert. Die lebendige, durch die Faktur und Distanz der Stimmen bisweilen etwas triohaft anmutende Fughetta III endet mit einer sehr breit auslaufenden und plötzlich stimmlich redundanten Schlussgestaltung. Überhaupt wird man bei etlichen Stücken in seiner Hörerwartung überrascht, beispielsweise bei Präludium IV, bei dem im A’-Teil eine Variation des A-Teils erscheint, die aber plötzlich so unerwartet, auch in den Begleitstimmen, rhythmisch differenziert auftritt, dass das Stück ab dort quasi Choralvorspiel-Charakter annimmt.
Fughetta IV hat trotz ruhigem Spielfluss taktartbedingt etwas gigue-artiges, Fughetta V erfährt am Ende eine gewaltige dynamische Steigerung. Insgesamt haftet allen Miniaturen ein besonderer Einfall motivischer, dynamischer oder satztechnischer Art an, welcher diese zu echten Kabinettstückchen werden lässt. Präludium X beispielsweise erhebt die Chromatik, von der viele Teile mehr oder weniger durchwoben sind, zum gestaltenden Kompositionsprinzip.
Der Notentext ist gut lesbar, einige wenige Druckfehler lässt der logische Zusammenhang vermuten (bei Fughetta IX lässt sich der dritte Ton h, der sicher ein d’ sein soll, auch durch „tonale“ Themen-Beantwortung kaum rechtfertigen; bei Präludium XI muss bei Takt 13 in der Altstimme vor dem fünften Ton ein # ergänzt oder dasjenige in der Parallelstimme entfernt werden).
Haas zeigt sich in allen Stücken, die man wegen ihrer Kürze und der charakterlichen Unterschiedlichkeit hervorragend auch liturgisch verwenden kann, als ein Meister der (harmonischen) Stimmführung.
Wenn er auch selbst den Boden der Tonalität nie verlassen hat, war Haas gleichwohl zusammen mit Heinrich Burkard und Paul Hindemith 1921 ein Mitbegründer der „Donaueschinger Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“, aus denen die Donaueschinger Musiktage hervorgingen. Unter anderem deswegen war er zur Zeit des Nationalsozialismus für die damit verbundene explizite Befürwortung als „entartet“ diffamierter Kunst diversen Repressalien ausgesetzt. Auch darum ist es gut, sich an diesen Komponisten zu erinnern, wozu diese neue Ausgabe von Orgelstücken uns einlädt.

Christian von Blohn