Pascal Reber joue/plays/ spielt Reber & Alain

Verlag/Label: IFO Classics, IFO 00144 (2011)
erschienen in: organ 2013/02 , Seite 57

4 von 5 Pfeifen

Der Straßburger Münsterorganist Pascal Reber stellt in dieser Aufnahme die beiden Fantasien Jean Alains eigenen Orgelkompositionen und einer freien Improvisation gegenüber. Das aufgenommene Instrument ist „seine“ Straßburger Münsterorgel, der letzte große Neubau von Alfred Kern aus dem Jahre 1981 unter Verwendung von 317 originalen Pfeifen Andreas Silbermanns, der seinerseits 1714/16 in dem bis heute vorhandenen imposanten spätgotischen Schwalbennestgehäuse von 1489 seinen Neubau mit 2602 Pfeifen errichtet hatte. Das bis dahin kaum veränderte Werk wurde 1897 von Heinrich Koulen im romantischen Stil radikal umgebaut und vermittels einer elektropneumatischen Traktur an die Chororgel angeschlossen. Bereits 1935 wurde ein neues klingendes Werk von E. A. Roethinger errichtet. Alfred Kern erachtete etliche Register als so wertvoll, dass er sie in seinem vollmechanischen Neubau (mit hängenden Trakturen) wieder integrierte.
Die Orgel ist in ihrer heutigen Klanggestalt ein grandios klingendes Paradebeispiel für die neobaro­cke Konzeption einer großen Ka­thed­ralorgel in oberrheinisch-elsässischer Tradition mit 47 klingenden Regis­tern (mit neun großen Rohrwerken!) auf Positif de Dos, Grand Orgue, einem klassischen Récit und Pedal. Die Stimmung der Orgel vermag nicht in allen Teilen dieser Produktion zu überzeugen, insbesondere wenn kurzbecherige Zungen zusammen mit Aliquoten geführt werden oder wenn hohe Diskantlagen in Flöten- und Prinzipalstimmen erklingen.
Ein interessantes und ansprechend gestaltetes Booklet bietet kurze Werkanalysen, Informationen zur Orgelgeschichte, Disposition und Künstlerbiografie in deutsch, englisch und französisch.
Die dramaturgische Klammer am Anfang und am Ende der CD bilden Jehan Alains (1911-40) beide großen Fantaisies für Orgel. Die neoklassischen Klangvorstellungen des Komponisten lassen sich auf der großen Kern-Orgel adäquat verwirklichen, und beim Anhören des aufnahmetechnisch großartig eingefangenen Raumklangs kommt echte Kathed­ralatmosphäre auf. Reber spielt diese Stücke in den rhapsodischen Partien frei und einfühlsam, in den motorischen Teilen genau, feinnervig und feurig-virtuos.
Den Mittelpunkt der Aufnahme stellen eigene Werke Rebers in Form dreier Kompositionen unterschiedlichen Charakters und einer Improvisation über ein volkstümliches Thema „Tanzen und springen“ nach dem Madrigal Hans Leo Haßlers dar. Rebers Triptyque op. 4 dédiée à Frère Médard mit den Sätzen „Combat spirituel“, „Intériorité“ und „Action de Grâce“ – der wichtigen Straßburger geistlichen und politischen Persönlichkeit und deren spiritueller Botschaft gewidmet – ist eine großangelegte, sehr ansprechende neosymphonische Komposition in der Tradition „Alain – Tournemire“ und auch besonders nahe der Tonsprache seines Lehrermeis­ters Daniel Roth gehalten. Tonale und modale Zentren werden durch farbenreiche Ajoutéklänge, Mischharmonik und freie Mixturklänge ausgereizt. Strukturell sind Abschnitte klar gegliedert; metrisch freie Teile wechseln mit beharrenden Ostinato-Rhythmen, aber auch traditionelle Formgebung in kontrapunktischen Strukturen ist erkennbar.
Rebers Chaconne sur le nom de Silbermann op. 3 Hommage à Jean-André Silbermann ist von der Form und der Tonsprache eher neoklassisch angelegt und klar in Variationen gegliedert. Die dreiteilige Improvisation libre sur „Tanzen und springen“ (Madrigal – Hans Leo Haßler, 1601) birgt eine leichtfüßiges motorisches Prélude „à la schezando“, ein meditatives Interlude sowie eine furiose, tänzerische Toccata, in der das Motiv „In dir ist Freude“ gleichfalls mitverarbeitet wird. In Rebers siebenminütigem Dona nobis pacem über zwei gregorianische Da pacem-Rufe wechseln lyrische Abschnitte, in denen ruhige Akkordwiederholungen meditativ den gregorianischen Cantus firmus begleiten, mit rhythmischen und imitatorischen Passagen ab.
Fazit: Insgesamt ein lohnendes, überaus instruktives Komponisten- und Orgelporträt.

Stefan Kagl