Anton Bruckner
Ouvertüre g-Moll
bearb. von Otto Depenheuer
Unter den Organisten ist er lange schon als Herausgeber und Bearbeiter bekannt, hat Unmengen an Repertoire ausgegraben und zugänglich gemacht. Jetzt hat Otto Depenheuer wieder für spannende Neuentdeckungen auf dem Notenpult gesorgt. Der ursprünglich eigene Verlag édition bon(n)orgue ist mittlerweile an die Edition Dohr angegliedert und hat seinen Schwerpunkt auf Bearbeitungen gelegt.
Nachdem Charles Gounod (1818 – 93) zwar viel Musik für die Liturgie komponiert hat, die Orgel dabei aber selten über die Begleitfunktion hinauskommt, hat sich der Blick in andere Genres gelohnt. Mit dem Marche funèbre d’une Marionette liegt hier ein Werk vor, das von Gounod 1872 für Klavier komponiert und 1879 auch für Orchester bearbeitet wurde – beste Voraussetzungen also, um das Stück auch der Orgel zugänglich zu machen. Ursprünglich als Teil einer nie vollendeten Suite burlesque geplant, erweist sich dieser humorvolle Begräbnismarsch als eine verschmitzte Parodie auf das Genre des Trauermarschs.
Depenheuer geht bei der Bearbeitung an mancher Stelle ein wenig vereinfachend vor, so gleich zu Beginn: Im Original sind die Vorschlagnoten nur in der ansonsten oktavierenden Oberstimme vorhanden, die Unterstimme fehlt, wie auch die ersten 15 Takte des Stücks. Das eigentliche Programm Gounods, das im Notentext vermerkt ist, ist so leider des Grundes für den Trauermarsch beraubt: der Tod der Marionette im Rahmen eines Duells. Man beginnt also gleich den Marsch in d-Moll, der in der Mitte – laut Programm – für eine Einkehr nach D-Dur umschwenkt, bevor der Zug sich in der Reprise wieder in Bewegung setzt. Eine sehr gelungene Neuerscheinung, die durch die gute Spielbarkeit auch ambitionierten Laien und Orgelschülern Vergnügen bereitet. An mancher Stelle empfiehlt es sich, das Original zu Rate zu ziehen, um eine differenziertere Dynamik zu erzielen oder sich bei der Registrierung Ideen aus der Orchesterfassung zu holen. Die programmatischen Anmerkungen fallen dem geübten Interpreten zwar sofort ins Auge, oder besser noch: ins Ohr, aber das großzügige und sehr übersichtliche Druckbild erlaubt es auch, diese nachträglich in die Noten einzutragen.
Wie bei Gounod sind auch bei Anton Bruckner (1824–96) die Orgelwerke sehr rar gesät und längst nicht so spektakulär, wie sein Orchesterschaffen. Allerdings werden seine Sinfonien sehr gerne für Orgel bearbeitet und sind in den verschiedensten Ausgaben erhältlich. Die Ouvertüre in g-Moll ergänzt diesen Reigen der großen und bekannten Werke durch ein recht wenig gespieltes, aber dennoch sehr reizvolles Stück von 1863, als Bruckner beim Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler Formenlehre, Instrumentation und Komposition studierte. Dieser ließ Bruckner als Vorbereitung auf die Aufführungen von Wagners Tannhäuser in Linz die Partitur studieren, was bei Bruckner laut Leopold Nowak „die größte künstlerische Erschütterung“ seines Lebens auslöste. Dermaßen angeregt entwickelte er, auf der Suche nach neuen Formen des musikalischen Ausdrucks, seinen ganz eigenen Stil, für den er schließlich bekannt wurde. Viel davon ist in der Ouvertüre bereits zu hören und macht die Ausgabe zu einer wertvollen Ergänzung für das „Bruckner-Jahr“ 2024.
Umfang und Schwierigkeitsgrad lassen eine relativ kurzfristige Aufführung zu. Auch diese Ausgabe überzeugt mit einem fein strukturierten Druckbild. Knappe und pragmatische Registriervorschläge unterstützen beim Einstudieren und bei der Konzertvorbereitung. Ein wenig unpassend mag dabei erscheinen, dass diese auf Französisch und für die französisch-romantische Orgel abgefasst sind. So könnte man sich gut den einen oder anderen Hinweis zu Bruckners Orchestrierung im Notentext vorstellen. Übrigens: Wenn man genau hinhört, kann man zwischendurch ein wenig Wagner erahnen …
Auch für den dritten Komponisten in der Reihe war Wagner von großem Einfluss: Vincent d’Indy (1851– 1931), der hierzulande heute allerdings mehr für sein musikwissenschaftliches Wirken als für seine Kompositionen bekannt sein dürfte. Die Orgelwerke nehmen, wie bei den beiden vorgenannten Komponisten, im Gesamtschaffen von d’Indy einen recht kleinen Platz ein. So ist auch diese Variationsreihe eine sehr farbige Erweiterung des Repertoires.
Als eine der großen Figuren der Pariser Musikszene trat d’Indy als Dozent am Konservatorium in Erscheinung, gründete aber zusammen mit Alexandre Guilmant und Charles Bordes die konkurrierende Schola Cantorum, deren Direktor er 1900 wurde. Er war einer der Gegenspieler von Claude Debussy und dem aufkommenden Impressionismus, gleichzeitig klingen seine Kompositionen durchaus auch impressionistisch. Also eine sehr schillernde Persönlichkeit, die auch in der Orgelbearbeitung von Choral varié zutage tritt. Der Titel lässt auf eine Variationsreihe schließen, als Tempoangabe vermerkt d’Indy: „Mouvement de Passacaille“. Der Anfang lässt noch eine waschechte Passacalia vermuten, doch wird schon nach wenigen Takten klar, dass d’Indy ganz andere Pläne hat. Ungewohnt ist auch die ursprüngliche Besetzung für Saxofon und Orchester: Die amerikanische Saxofonistin Elise Boyer Hall gab das Stück in Auftrag, ist die Widmungsträgerin und spielte die Uraufführung 1905 in Boston. Der zugrundeliegende Choral ist, wie auch bei d’Indys Lehrmeister César Franck, eine eigene Erfindung. Es bleibt zu hoffen, dass durch diese Ausgabe eine, bei uns eher wenig beachtete Epoche der französischen Musikgeschichte mehr Beachtung findet als bisher. Verdient hat sie es allemal.
Insgesamt kann man allen Neuerscheinungen einen großen praktischen Wert zuschreiben. Dem Herausgeber ist es gelungen, ohne die jeweiligen Originale allzu sehr auszudünnen, sehr pragmatische und ordentliche Ausgaben vorzulegen. Alle drei Werke sind dadurch für einen großen Spielerkreis zugänglich und können hochwillkommene Bereicherungen für so manche Konzertprogramme sein.
Max Pöllner