Orlos, Clarines y otros Nazardos

Loreto Aramendi an der Pedro Echevarría-Orgel der Kathedrale von Salamanca und an der Jordi Bosch-Orgel der Pfarrei Sant Andreu de Santanyí (2020)

erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2020/04 , Seite 55

“Loreto Aramendi hat ein glückliches Händchen bei der Repertoire­auswahl und zwei glück­liche bzw. erfolgreiche Hände bei der Interpretation ihres breitgefächerten Doppelprogramms.”

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Bestimmte, mit iberischen (lateinamerikanischen / -asiatischen) Orgeltypen verbundene Klangfarben, geben der Doppel-CD ihren Titel. Konkret geht es um zwei große prächtige Meisterorgeln aus dem 18. Jahrhundert, die 770 Kilometer voneinander entfernt erklingen; mu­sikalische und historische Denkmäler ihrer stolzen Regionen.
Die erste CD wurde in der Kathedrale zu Salamanca aufgenommen. Die 1724 von Pedro Eche­varría mit vollständiger Bass Oktave erbaute Orgel ruft nicht nur spanische Prominenz wie Juan Cabanilles’ Corrente italiana und Pablo Brunas Tiento …sobre la letanía de la Virgen auf den Plan, sondern erfreut und überzeugt ebenso mit Bux­tehudes Preludio BuxWV 163 und Nicolas de Grignys „Dialogue“ aus dem Agnus Dei und dem Plein Jeu vom Fin de la Messe (1699), ohne norddeutsche oder französische Klang­idiome billig imitieren zu wollen.
Im hinteren Einband des Book­lets ist die zweite CD untergebracht, die in der Pfarrkirche Sant Andreu de Santanyí eingespielt wurde. Die von Jordi Bosch 1765 für die Dominikaner in Palma de Mallorca gebaute Orgel fand 1835 ihren endgültigen Standort in Sant Andreu. Sie stellt klanglich und technisch einen ganz eigenen und innovativen Orgelkosmos dar, der seit 1978 von Familie Grenzing liebevoll und meis­terhaft restauriert und betreut wird. Geografisch mag das früher eine insulare Isolation gewesen sein, aber sicher nicht eine kulturelle – von allen Seiten strömte über das Meer die Musik auf die Balearen – und von dort aus nun in die Welt.
Sechs der insgesamt 36 meist kurzen Kompositionen haben Weihnachtsbezug, was besonders dem französischen Repertoire – Noëls von Michel Corrette – geschuldet ist. Damit muss aber nicht zwangsläufig der nächste weihnachtliche Gabentisch aufgewertet werden. Denn das Repertoire der beiden CDs ist ein zeitloser und bunter Mix aus Präludium, Toccata, Sonata, Tiento, Diferencia, Choralbearbeitung usw., der auf den ersten Blick inhomogen wirkt, mit Schwerpunkt auf 17. und 18. Jahrhundert, mit durchweg prominenten Namen: Frescobaldi, Muffat, Distler u.v.m.
Loreto Aramendi hat ein glückliches Händchen bei der Repertoire­auswahl und zwei glück­liche bzw. erfolgreiche Hände bei der Interpretation ihres breitgefächerten Doppelprogramms. Schaut man sich das genauer an und hört genau hin, dann ist der Sinn erkennbar: Die Werkauswahl zeigt die beiden Instrumente mit ihren vielseitigen klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten, was weit über die authentische Darstellung der üblichen spanischen Verdächtigen (Cabézon, Correa de Arauxo u. a.) hinausgeht. Das ist ein wohltuender Blick über kulturelle Grenzen hinaus mit einem Fokus auf das, was musikalisch verbindet und sich angemessen und natürlich umsetzen lässt.
Loreto Aramendi ist nicht alleine. Sie hat effektvolle Unterstützung durch pajaros (Vogelstimmen), castañuelas und tambor. Unterstreichen die Kastagnetten das Tänzerische des Fandangos (1, 12; Manuskript, 18. Jahrhundert), so hat die Trommel in der Batalla de sexto tono (1,18) von José Jiménez (1601–72) ihre Entsprechung im Höfisch-Mi­litärischen. Und so wie man sinnbildlich unter Pauken und Trompeten aus Salamanca auszieht – die Batalla Imperial von Juan Cabanilles und die Sweelinck-Variationen (2,01 und 02) erklingen noch von der Echevarría-Orgel, so zieht man zu mächtigen Trompeten und Pauken in Sant Andreu auf Mallorca ein – eine gelungene Dramaturgie, die weniger kurios anmutet als viel mehr, auch im Balletto del granduca SwWV 319 (2,05), angenehm zu überraschen vermag.
Weitere fundierte Unterstützung liefern im aufwendig gestalteten Booklet kollegiale Worte zum Orgelbau von Alberto Moñivas Vaquero, Titularorganist der Kathedrale, sowie von Joaquin Lois Cabello, der das prächtige Instrument in Salamanca 2006 umfassend restaurierte. Bei all dem grandiosen Bildmaterial des Booklets und den auf Spanisch, Baskisch, Englisch, Französisch und Deutsch angebotenen Texten kann man großzügig über einige redaktionelle Marginalien hinwegsehen.
Sechs Promotionsvideos (https:// loretoaramendi.com) mit berauschenden Bildern können helfen, die akustischen und kulturellen Dimensionen besser zu erfassen, vielleicht um noch besser hören zu können. „Entzun …! … eta ez besterik“, wie uns der baskische Musiker und Co-Autor Loreto F. Imaz im Book­let nahelegt – „Hören Sie zu … sonst nichts.“ Er hat Recht, es lohnt sich!

Johannes Ring