Johann Nepomuk David
Orgelwerke Vol. 2
Roman Summereder an der Mahrenholz-Furtwängler-Orgel der Marienkirche Göttingen und an der Bruckner-Orgel der Stiftsbasilika St. Florian, Linz (Österreich)
Bewertung: 5 von 5 Orgelpfeifen
Von der „Furie des Verschwindens“ heimgesucht, hat der österreichische Komponist Johann Nepomuk David (1895–1977) endlich einen wahrhaften Treuhänder gefunden: den Wiener Orgelvirtuosen und Musikuniversitätsprofessor Roman Summereder.
David studierte Komposition bei Joseph Marx in Wien, war 1924–33 Organist und Chorleiter in Wels, 1934 Dozent der Leipziger Musikhochschule, 1942–45 dann deren Direktor. Danach Lehrer am Mozarteum und 1948–63 Kompositionsprofessor an der Hochschule für Musik in Stuttgart. Quellgrund seines Schaffens war die Musik, die er als Sängerknabe am Augustinerstift St. Florian einsog: Gregorianischer Choral, Josquin, Bach, Bruckner, Reger. Später versenkte er sich in die Schöpfer neuer Tonwelten: Debussy, Ravel, Skrjabin und sonderlich Arnold Schönberg. Mit Paul Hindemith teilte er die Vorliebe für alte Formen und Volksweisen, das „harmonische Gefälle“ und das kontrapunktische Handwerk. Nach eigenem Bekenntnis geriet ihm alles Schreiben immer wieder als Fuge.
Sein kompositorisches Vermächtnis umfasst Orchestermusik (darunter acht Symphonien), Kammermusik, Chormusik (überwiegend geistlich) und Orgelmusik, im 21-bändigen Choralwerk gipfelnd. Wollte man sein Lebenswerk reanimieren, so scheint sein Orgelschaffen am ehesten erfolgversprechend. Hängt seine Rehabilitation hier doch an der Durchsetzungskraft eines einzigen Interpreten. Wobei das Choralwerk einen idealen Leitfaden bildet, indem es – getragen von der Glaubenskraft des lutherischen Chorals – den Steigflug seines Künstlertums spiegelt: ein Kompendium polyphoner Kompositionspraxis und Orgelspieltechnik, über Reger hinausweisend.
Vol. 2 der auf drei CDs veranschlagten Edition ausgewählter Orgelwerke Davids, die Summereder auch vorzüglich kommentiert, führt vom dichten Linienspiel der frühen Toccata und Fuge f-Moll von 1928 bis zur panchromatisch „aus der Hand rollenden“ Toccata und zwölftönig angelegten Fuge von 1962, einem hochkomplexen polyphonen Gespinst, das geradezu in einenattimo strepitoso ausmündet.
Die Fantasia super L’homme armé (1928/30) bezeugt Davids Geistesnähe zur franko-flämischen Schule. Die nachfolgenden Stücke entstammen dem Choralwerk III, VIII und XIV. In den ungestümen Bewegungszügen der Toccata nebst Choral „In dich hab ich gehofft, o Herr“ von 1932 gewahrt Summereder Schattenwürfe jener Krisenzeit.
Das Geistliche Konzert über das vorreformatorische Passionslied „Es sungen drei Engel ein süßen Gesang“ (1941), formal und satztechnisch der Dreizahl huldigend, erinnert an Hindemiths Mathis-Sinfonie. Das Choralwerk XIV (1962) schließlich, eine Folge von fünf Fantasien, die Summereder als Memento mori begreift, zehrt von der mittelalterlichen Antiphon „Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen“ (Fantasie 1–3), dem Adventslied „Maria durch ein Dornwald ging“ und dem Sterbelied „Wenn mein Stündlein vorhanden ist“. – Möge Roman Summereders Feuerseele möglichst viele kunstverwandte Geister entzünden!
Lutz Lesle