Bach, Johann Sebastian

Orgelwerke, Band 6: Präludien, Toccaten, Fantasien und Fugen II

Frühfassungen und Varianten zu I (Band 5) und II (Band 6), hg. von Dietrich Kilian, aktualisierte Ausgabe von Peter Wollny

Verlag/Label: Bärenreiter, BA 5266
erschienen in: organ 2017/01 , Seite 60

Die im Laufe der Jahre gewonnenen Neuerkenntnisse in der Bach-Forschung nahm der Bärenreiter-Verlag zum Anlass, in Zusammenarbeit mit dem Bach-Archiv Leipzig eine gründlich revidierte Edi­tion einiger Orgelwerke Johann Se­bas­tian Bachs vorzulegen (BA 5266 ersetzt BA 5176), die den jeweils aktuellen Forschungsstand repräsentiert. Auf die Besonderheit dieser Aus­gabe, nämlich die Verlinkung zu den digitalisierten Quellen in Bach digital, wird der Benutzer bereits auf der vorderen Einbandseite hingewiesen. Vor dem Notenteil findet der Leser Informationen zu den jüngs­­ten entdeckten Quellen und die Ziffern, die zu den Links leiten.
Im Vorwort gibt der Herausgeber des Bandes, Peter Wollny, zu jedem Werk eine Kurzbeschreibung sowie Hinweise auf die Entstehungszeit, die auf stilkundlichen Untersuchungen basieren. Diese Methode hat sich in der Vergangenheit wiederholt als durchaus anfechtbar erwiesen und wirft auch bei den Angaben im Vorwort des zu besprechenden Bandes Fragen auf. Eines der Kriterien, die zu widersprüchlichen Aussagen führen, ist der Pedalgebrauch. Aufgrund seines virtuosen Anspruchs wird z. B. BWV 564 der reifen Weimarer Zeit, BWV 549 aber, das nicht mindere Anforderungen an die Pedalfertigkeit stellt, dem „Stilbereich um 1701“ zugeordnet. Das führt zu der Frage, wie sich denn ein solcher „Stilbereich“ konkret definiert. Unklar bleibt auch, nach welchen Kriterien ein Stück als „echt“ oder, wie im Fall des Präludiums BWV 568, als „unecht“ aus dem Bachischen Œuvre aussortiert oder mit welcher Begründung die Fuge BWV 532a als Frühfassung deklariert wird.
Der Notentext selbst ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil stehen die praktischen „Spiel“-Fassungen und im zweiten ist eine Auswahl von Alternativfassungen abgedruckt, die – mit Ausnahme von BWV 566 – nichts mit den Stücken des ersten Teils zu tun haben. Die im ersten Teil vorgestellten Fassungen fallen sozusagen zwar grundsätzlich unter das Ermessensurteil des Herausgebers, führen jedoch vor dem Hintergrund mehrerer Abschriften und fehlender Autographen zwangsläufig zu Kompromissfassungen. Bei Bach digital findet der Leser weitere Abschriften, die für seine Interpretation von Nutzen sein könnten; so trug etwa Carl Gotthelf Gerlach in BWV 564 die Aufteilung der Hände und Fingersätze in seine (unvollendete) Abschrift ein; diese Zusätze gehen möglicherweise auf den Unterricht bei Bach selbst zurück.
Weiter erfährt der Leser, dass beide Sätze von BWV 533 in der Abschrift von Ringk nicht in Moll, sondern in Dur enden. Hinsichtlich des „Problemkindes“, wie Wollny BWV 565 bezeichnet, wäre eine wörtliche Druckausgabe der Fassung von Johannes Ringk zu begrüßen gewesen. Diese könnte Auskünfte über die Lösung mancher Probleme geben, wie etwa den Oktavparallelen in der Toccata. Die vielfältigen Möglichkeiten, Lesevarianten über das Portal Bach digital kennenzulernen, machen den Anhang eigentlich überflüssig. Dem Benutzer dieser Edition sei daher nachdrücklichst die Nutzung der Links ans Herz gelegt.

Andreas Weil