Reger, Max

Orgelwerke

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 949 1919-6 (2015)
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 57

4 von 5 Pfeifen

Die monumentale Walcker-Orgel der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, nach dem Wiederaufbau der Kirche (1912) mit V/163/Ped gebaut, wurde im Zweiten Weltkrieg vor der Bombardierung ausgelagert und hätte danach ohne nennenswerten Substanzverlust wieder hergestellt werden können – das geschah leider nicht! Diese fatale Entscheidung ist heute irreparabel. Und dennoch: Was heute, nach achtjährigen Planungs- und Restaurations­arbeiten, im Hamburger „Michel“ wieder zu hören ist, hilft den Verlust zu verschmerzen.
Die große Steinmeyer-Orgel von 1962 wurde hinsichtlich ihrer Disposition kaum verändert, erhielt aber neue Trakturen (Holz statt Aluminium bzw. Kunststoff) und ein verbessertes Windsystem. Die Orgel ist sich selbst treu geblieben; alle Baumaßnahmen erfolgten mit denkmalpflegerischem Respekt, aber das Instrument hat sich gewissermaßen die Zähne geputzt und verfügt nun über ein strahlenderes Lächeln.
Die sogenannte Konzertorgel, von Marcussen 1914 erbaut und von Klais restauriert, musste wegen zahlreicher Pfeifenumstellungen (1950 ff.) neu sortiert und ergänzt werden. Der Originalzustand einschließlich der pneumatischen Traktur (bravo!) wurde wieder hergestellt.
Das Fernwerk von 1912 hätte als Anhängsel der Steinmeyer-Orgel keinen Sinn gemacht. Man wollte auch mehr von ihm als ursprünglich vorgesehen: Statt einer Berieselungsanlage für andächtige Momente hat es nun eher die Funktion eines Auxiliaire. Damit im Zusammenhang steht die Installation eines Zentral-Spieltischs. Es können sämtliche Manuale und Pedale nicht nur zusammengefasst, sondern die drei Orgeln auch gemischt werden. Christoph Schoener – um endlich auf den Interpreten zu kommen – zeigt das sehr schön an der Auswahl kleiner Choralvorspiele aus Regers op. 135a: Diese Miniaturen werden entzückend beleuchtet. Die „Carl-Philipp-Emmanuel Bach-Orgel“, speziell für spätbaro­cke Musik zugeschnitten, muss in diesem Kontext außer Betracht bleiben.  
Schoener stellt auf dieser CD den frühen und den späten Reger zusammen: Op. 27 (Ein feste Burg) hat die entsprechende Verve. Vor allem wirkt die Plastizität der weitgespannten Räumlichkeit imposant (Respekt gebührt dem Tonmeis­ter!). Und trotz der guten Durchhörbarkeit seines Spiels kommt ein Moment von sinfonischer Halligkeit hinzu, was für die Aura des Werks sehr nützlich ist. (Übrigens liebte es Alfred Sittard, seit 1912 Organist der neuen Walcker-Orgel, vor dem Konzert einen leibhaftigen Posaunisten in der Orgel zu verstecken, der an der kaum darstellbaren Stelle „und wenn die Welt voll Teufel wär“ den c. f. – eigentlich dem rechten Bein des Organisten zugeteilt – kräftig mitblies.)
Regers zyklopisches Opus 127 ist ebenfalls sehr überzeugend gespielt. Das Werk hat hinter der Folie des Pompösen eine Tendenz zum Nachdenklichen, manchmal fast Verträumten. Das wird alles wunderbar herausgearbeitet; die Fuge so gemessen im Tempo anzugehen, tut aber der Musik sehr gut. Zusammenfassend: Lob für Reger, für die Orgelbauer und für den Interpreten.

Martin Weyer