Finkbeiner, Reinhold

Orgelwerke 1952-1973

Verlag/Label: Cadenza CAD 800 857 (2009)
erschienen in: organ 2011/02 , Seite 56

3 Pfeifen

Reinhold Finkbeiner, der im vergangenen Jahr verstorbene Komponist sowie langjährige Kantor und Organist der Frankfurter Peterskirche, war schon während seiner aktiven Zeit ein gegenüber dem arrivierten „bürgerlichen“ Musikbetrieb stets distanzierter Künstler, der gerne provozierte und den jeder öffentliche Rummel um seine Person eher abstieß. Die seiner Meinung nach viel zu biedermeierlich-gefällige Kirchenmusikpraxis der Wirtschaftswunderära betrachtete der Musiker mit einer zunehmenden und tief sitzenden Skepsis. Und dieser kritischen Haltung hat er nicht zuletzt durch Töne Ausdruck verliehen.
Davon zeugt die auf der vorliegenden CD dokumentierte eigene, 1985 an der Walcker-Orgel der Frankfurter Peterskirche entstandene Ein­spie­lung seines Be We Vau 565 – eine Zerarbeitung. In dieser „Deformation eines Publikumslieblings“ wird der Notentext von Bachs d-Moll-Toccata im basalen Ablauf wohl gewahrt, zugleich aber verfremdet: Harmonien laufen aus dem Ruder, liegen bleibende Töne erzeugen Cluster oder simulieren Heuler, bizarre Registrierungen unterlaufen das eingeschliffene Pathos der Interpretationsgeschichte. Be­freiungs­schreie des Organis­ten unterstreichen hart gesetzte Akkorde, eingebaute Sto­ckungen lassen den Orgelklang asth­matisch erscheinen, die Finger des Spielenden verstö­rend ungelenk. Nicht als Demontage des originalen Notentextes ist Finkbeiners Parodie freilich zu verstehen, sondern als Bloßstellung eines Organistenstandes, der unter dem Diktat der Popularität die d-Moll-Toccata inzwischen buchstäblich zerschlissen hat.
So satirisch ging es in Finkbeiners Anfangsjahren noch nicht zu. Seine frühen Orgelwerke bewegen sich ganz in den Bahnen altmeisterlicher Tradition von Bach bis Reger. Herkömmlicher Formen und Satztechniken bedient er sich in jenen Werken, die im Jahr 2006 an der Rieger-Orgel der Frankfurter Katharinenkirche von Hausherr Martin Lü­cker und Studienkollege Peter Schumann für die vorliegende CD aufgenommen wurden. Eines der ältesten da­runter, die 1952 komponierte Toccata pro organo pleno in leicht geweiteter tonaler Sprache, lässt im Wechsel zwischen improvisatorischen Spielfiguren, rezitativischen Passagen und fugierten Abschnitten entsprechende (neo-) barocke Modelle durchscheinen. Nicht viel anders, wenn auch in der Harmonik zugespitzter, gibt sich die ein Jahrzehnt jüngere Toccata und Fuge von 1964.
Der Überlieferung im Bereich der Choralbearbeitung schließen sich zwei weitere hier dokumentierte Stü­cke Finkbeiners an: seine Partita über „In dich hab ich gehoffet Herr“ (1957) und die Choralfantasie „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (1952), in denen sich der Walcha-Schüler als Meister der Cantus-firmus-Technik erweist: in einem ungebrochenen Positivismus, der noch nichts von der späteren Dis­tanz zur Organisten- und Kirchenmusikpraxis weiß …
Gerhard Dietel