Bach, Johann Sebastian
Orgelwerke
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Die im Oktober 2011 neu in Dienst genommene Orgel im Remter (spätgotischer Kapitelsaal) des Magdeburger Doms erstmals diskografisch mit Werken J. S. Bachs vorzustellen macht Sinn, begreift sich das vollmechanische zweimanualige Opus (20-22/II/P) auf Schleifladen doch als ein auf die Tugenden des barocken Orgelbaus zurückgreifendes Instrument (Querstand). Dies gilt umso mehr, als die nahezu hundertstimmige Westorgel der gotischen Riesenkathedrale (A. Schuke, 2008) klangästhetisch nicht unmittelbar auf die Polyphonie des mitteldeutschen Orgelgenies aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gemünzt und zudem auf Tonträger mit überwiegend orgelsinfonischem Repertoire bereits mehrfach dokumentiert ist. Die neue Remter-Orgel stellt ein Gemeinschaftsprojekt von Glatter-Götz (Owingen) mit Manuel Rosales (Los Angeles/USA) dar. Letzterer zeichnete maßgeblich auch für die Mensurierung und Intonation verantwortlich. Der Gehäuseentwurf stammt von Graham Tristram (Edinburgh/UK), die klangliche Disposition von Barry Jordan, Manuel Rosales und Kevin Early Gilchrist.
Freilich birgt heute jede Neueinspielung Bachscher Orgelwerke angesichts des inzwischen inflationären Überangebots auf dem Fonomarkt für den Interpreten gewisse Risiken. Auch die besonderen Maßstäbe, die an ein künstlerisches Bach-Spiel heutzutage angelegt werden, sind zumal in Zeiten eines verschärften aufführungskritischen Bewusstseins globalisiert und die Interpreationsstandards angesichts dutzender, vielfach preisgekrönter Gesamtaufnahmen auf herausragenden (historischen) Referenzinstrumenten beachtlich. Zusätzliche Bach-Einspielungen wecken somit automatisch Erwartungshaltungen an wirklich neue Hörerlebnisse im Umgang mit den sattsam bekannten Partituren.
Um die Qualitäten der neuen Orgel im Remter zu verdeutlichen (Booklettext), hat Barry Jordan, musikalischer Hausherr am Spieltisch der nunmehr drei Domorgeln, für seinen ersten Tonträger am neuen Remter-Instrument zwei große freie nebst diversen Cantus-firmus-gebundenen Opera des Thomaskantors ausgewählt: Präludium & Fuge C-Dur BWV 547, Partita O Gott, du frommer Gott BWV 767, Orgelchoräle BWV 607/11/15/18/41, 645-50 (Schübler-Choräle) sowie Toccata und Fuge F-Dur BWV 540. Im minimalistisch geratenen Schwarz-Weiß-Booklet (in Deutsch und Englisch) wird dem Hörer neben der Disposition über die Konzeption des Instruments lediglich mitgeteilt, dass bei dessen Bau intendiert war, die besonderen Vorzüge des mitteldeutschen Orgelbaus zur Bach-Zeit aufzunehmen und neu zu realisieren darunter die Vielfarbigkeit dieses Stils (auch bei geringer Registerzahl) und die polyphone Durchhörbarkeit, die für die Musik der Zeit unerlässlich ist.
Das erzielte musikalische Resultat weckt indes beim Hörer ambivalente Gefühle. Der Orgelklang wirkt, freundlich ausgedrückt, recht kammermusikalisch bis introvertiert obgleich es ganz konkret eine zweischiffige gotische Gewölbehalle von immerhin rund 46 Metern Länge zu bespielen galt. Es fehlt deutlich an barocker polychromer Kernigkeit des Klangs. Trotz der vorhandenen Präsenz im Raum bleibt aufs Ganze gesehen ein fahler Nachgeschmack von permanentem Understatement. So mangelt es den freien Werken an barocker Strahlkraft (stumpfe Mixturen) und sonorer Gravität der Rohrwerke (besonders in der F-Dur-Toccata mit den ausladenden Pedalsoli). Besser kommt dagegen die kontrapunktische Faktur bei den unterschiedlichen Choralbearbeitungen zur Geltung, die von Jordan geschickt für kontrastreiche Registerdemonstrationen (aparte Solostimmen) genutzt wird. Möglicherweise sind diese Aspekte insgesamt auch einer unglücklichen Aufnahmesituation bzw. Mikrofonierung geschuldet, was sich nur durch eine Überprüfung der klanglichen Live-Situation vor Ort objektivieren ließe. Das Orgelspiel Barry Jordans selbst wirkt streckenweise übervorsichtig und im uninspirierten Sinne routiniert.
Am Ende erscheint alles recht vertraut; wirkliche Überraschungen hinsichtlich des Instruments oder neu formulierte gestalterische Einsichten in den Orgelkosmos Bachs wird man auf dieser CD nicht finden können dazu bleiben Klanglichkeit und Interpretationsansatz zu beliebig. Möglicherweise bergen Instrument und Interpret gleichwohl ein hier noch unentdecktes Potenzial, das es in einer weiteren Produktion mit der Remter-Orgel zu aktivieren gilt dann sinnvollerweise: senza Bach!
Hannah Oelsnitzer