Hindemith, Paul

Orgelwerke

Verlag/Label: Ambiente ACD-2024 (2012)
erschienen in: organ 2013/02 , Seite 56

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Gegen das „Weiche, Schwammige“ sprach sich Paul Hindemith 1950 aus, und leitete sein tonales System (ein auf einen tonalen Zentralton bezogenes harmonisches Gefälle) von der Obertonreihe ab. Da passt es gut, dass der lebenslustige Österreicher Roman Summereder (Professor für Orgel an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien) an einer obertonreichen, mit neobarocken Zungen zusätzlich angereicherten orgelbewegten, wenn auch pneumatischen, Orgel von 1925/27 Hindemiths sämtliche Orgelwerke (die frühen Zwei Stücke für Orgel von 1918 sowie seine drei Sonaten von 1937 und 1940) und eine Bearbeitung Helmut Bornefelds nach Ludus tonalis (1942, daraus „Pastorale“, „Fuga V“ und „Post­ludium“) einspielt. Kraftvoll und durchaus sympathisch, wenn auch gänzlich ohne leise, subtile Töne – schade … Denn schon das erste der Zwei Stücke für Orgel (1918, komponiert im Kriegsdienst, inspiriert von der damaligen postromantischen Orgel des Hoch’schen Konserva­toriums in Frankfurt am Main, Vortragsbezeichnung „Sehr lebhaft. Durchweg sehr leise“, ein Beitrag zu deutschem Impressionismus) leidet etwas unter dem hier allzu neoba­ro­cken, wenn auch erfrischend kraftvollen Zugriff, der sich in den folgenden Stücken sogar noch verstärkt fortsetzt.
Geschmacksache, gewiss – unbestritten aber ist die zentrale Bedeutung des Jubiläums-Komponisten im Musikjahr 2013 Paul Hindemith, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Gegenpol zur konstruktiv-destruktivis­tischen zwölftönigen Atonalität Arnold Schönbergs ist, zur patriachalisch-arroganten, verstiegenen und teils ungemein schädlichen Musikästhetik Theodor W. Adornos, aber auch zu kleinkarierter Orgelbewegtheit (Hindemith bezeichnete die „Prätorius-Orgel“ von Oscar Wal­cker, 1921 für das Musikwissenschaftliche Institut der Freiburger Universität erbaut, als „tot, trotz aller Mühen“, kümmerte sich aber als Pionier historischer Aufführungspraxis um die Viola d’amore und andere vergessene Streichinstrumente, deren lange unterschätzte historische Bedeutung erst heute in vollem Umfang anerkannt wird), zur orgelbewegt sanktionierten Polyphonie (in seinen Orgelwerken findet sich auch keinerlei geistliche Thematik, kein kirchlich gebundener
c. f., kein Kirchenlied!) und nicht zuletzt zum kulturellen Banausentum – 1936 wurde ein Aufführungsverbot über sein Œuvre verhängt, wurde er von Goebbels als „atonaler Geräuschemacher“ geschmäht, seine Frau als Halbjüdin gebrandmarkt …
Eine bedeutende musikgeschichtliche Konstellation, ausdrucksstarke Kompositionen, beherzte Interpretationen und eine zeitgeschichtlich interessante Orgel – die von Furtwängler nach Vorstellungen von Mahrenholz erbaute Orgel nutzte Register des Vorgängerinstruments von 1865 und dieses wiederum noch ältere Materialien des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts; nach Umbauten durch Paul Ott 1950 und Emil Hammer 1970 restaurierte 2002/03 die Firma Martin Hillebrand – empfehlen diese CD, unverzichtbar für die Musikbibliothek des avancierten post-modernen Bildungsbürgertums!

Torsten Laux