Kraft, Karl
Orgelwerke
Claudia Waßner an der historischen Marienorgel (1904) im Hohen Dom zu Augsburg
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Aus dem umfangreichen Schaffen Karl Krafts (1903-78) vermochte vorab die kleine Messe in Es-Dur (op. 64) im Repertoire der Kirchenchöre zu überleben. Kraft studierte an der damaligen Akademie der Tonkunst in München Kirchenmusik und Orgel und wirkte ab 1923 mit kleineren Unterbrechungen als Domorganist in Augsburg. Mitte der 1930er Jahre galt er bereits als einer der profiliertesten katholischen Kirchenkomponisten seiner Zeit. Zu seinen bekanntesten Werken gehören ebenso die von romantischer Heimat- und Naturverklärung getragenen Liedvertonungen nach Gedichten Eichendorffs. Andererseits erfuhr er seiner viel gerühmten Improvisationskunst am Augsburger Dom wegen hohe Wertschätzung.
Die vorliegende CD macht deutlich, dass es noch weitere lohnende, zum Teil unveröffentlichte, Werke insbesondere für Orgel solo zu entdecken gibt. Eingespielt wurden hier Präludium und Doppelfuge op. 60b, Vier Choralpartiten, Fünf Vorspiele zu Weihnachtsliedern op. 34 (ed. 1939) sowie Präludium, Chaconne und Fuge in d-Moll. Erschienen sind bei Böhm lediglich die Weihnachtschoräle und zwei der insgesamt fünf Partiten aus op. 88 (ed. 1955).
Wie ist Krafts Tonsprache stilistisch nun einzuordnen? Einerseits ist durchaus eine Verwurzelung des Komponisten in der deutsch-romantischen Tradition hörbar, teilweise gemahnt der Gestus an Bruckner oder die Chromatik Regers. Gleichzeitig ist aber auch die Hinwendung zu einer herben, modalen Klanglichkeit festzustellen, etwa im Stil Heinrich Lemachers (1891-1966). Die Orgelwerke Krafts sind spürbar aus der liturgischen Praxis während seiner 53-jährigen Amtszeit als Augsburger Domorganist entstanden. Die spezifische Domakustik und die im Kirchenschiff recht indirekt wahrnehmbare Maerz-Orgel dürften jeweils das Ihre zur Ausbildung des Kraftschen Personalstils auf der Orgel beigetragen haben.
Wie meist bei seltenem oder bislang gar nicht eingespieltem Repertoire stellt sich auch hier die Frage, ob es hier denn wirklich durchgängig um große Musik geht. Und man wird in diesem Punkte mit dem Urteil eher vorsichtig sein müssen. Kraft zeichnet bei einer gewissen sakralen Strenge seiner Musik geht jeder gefällige Zug ab gleichwohl ein gewisses virtuoses Brio aus, das so viele französische Kompositionen seiner Generation auszeichnet, ihm aus seiner süddeutsch-klerikalen Perspektive selbst jedoch suspekt gewesen wäre. Wo ein solches aufflackert, wie in der zweiten Fuge von op. 60b von weitem grüßt Regers gewichtiges Opus 135b , erlebt man fraglos die schönsten Momente der CD. Franz R. Miller schrieb über Kraft: Er schreibt [
] mit dem Herzen eines Liebhaber seiner Kunst. Aber das Herz zeigte er nicht her. Diese emotionale Reserviertheit kennzeichnet auch das Orgelwerk Krafts. Vielleicht ist aber gerade dieser Gestus auch eine sicher unzeitgemäße Stärke des weitgehend vergessenen Provinzkomponisten aus dem katholischen Süden Deutschlands. Inmitten einer Welle von vergessenen Romantikern und süßlichen postromantischen Nachschöpfungen, die zur Zeit die Orgelszene überfluten, gewinnt seine Musik einen eigenen Stellenwert.
Sympathisch mithin das Engagement der amtierenden Augsburger Domorganistin Claudia Waßner, die sich vorbildlich um die Werke ihres Vorgängers bemüht. Die durchweg gelungene Interpretation profitiert auch von der diskografisch nicht übermäßig stark vertretenen dienstältesten Domorgel Deutschlands. Die Aufnahmetechnik hat einen guten Kompromiss zwischen Klarheit und dem für diese Musik so wichtigen Raumklang gefunden und Krafts einstiges Dienstinstrument die kleinste Domorgel Deutschlands recht schön eingefangen, das der Münchener Orgelbauer Franz Borgias März im Jahre 1904 mit 36/II/P auf Kegelladen und pneumatischen Trakturen erbaut hatte. Das informative Booklet enthält auch einige charakteristische Porträts des Komponisten.
Axel Wilberg