Haas, Joseph

Orgelwerke

Verlag/Label: Spektral SRL4-11095 (2011)
erschienen in: organ 2011/04 , Seite 48

Bewertung: 4 Pfeifen

Als Orgelkomponist vermochte Joseph Haas (1879-1960) nie wirklich aus dem Schatten seines Lehrers Max Reger herauszutreten. Allenfalls im Umfeld seines späteren Wirkungskreises, der Münchener Musikhochschule, der er seit 1945 als erster Nachkriegspräsident vorstand, spielt(e) sein Name hie und da eine gewisse Rolle. Dabei zeigen die von Beatrice-Maria Weinberger hier eingespielten Opera 15 („Acht Charakterstücke“) sowie 25 (Suite in A-Dur), zwischen 1907 und 1909 entstanden, Haas als respektablen Komponisten, der trotz gelegentlicher hörbarer Anleihen bei seinem berühmten Lehrer zu einer durchaus eigenständige Sprache gefunden hat, was ihn deutlich über den Status des scholastischen Kleinmeisters erhebt. Zwar klassifizierte Bruno Weigle, der bei seinen Werturteilen in dem 1931 erschienenen Hand­buch der Orgelliteratur alles andere als gnädig verfährt, Opus 15 noch als „alltäglich in der Erfindung“, die fünfsätzige Suite A-Dur hingegen als „Orgelmusik im besten Sinne des Wortes“.
Die einzelnen Stücke präsentieren sich handwerklich gediegen, formal klar strukturiert und zeugen von einem ausgewogenen orgelgemäßen Klangsinn. Und so lauscht man hier, nach Jahren der „Überfütterung“ mit À la carte-Programmen „à la française“ mit Vergnügen einer Musik, die sich unaufdringlich anstatt spektakulär, bodenständig anstatt mondän, seriös-nachdenklich anstatt weltläufig und „parfümiert“ geriert; und dies alles um so mehr, da mit Beatrice-Maria Weinberger eine überaus sachkundige Interpretin am Spieltisch waltet. Mit Verve geht sie die einleitende Improvisa­tion an und verleiht dem Satz einen impulsiv-vorwärtsdrängenden Impetus. Die verhaltenen Sätze musiziert sie mit weitgespanntem Atem und großer innerer Ruhe. Sie entfaltet so genügend Raum für spät­romantisches Sentiment.
Das spielerische Moment dominiert in ihrer Interpretation jedes rein akademische Interesse an dieser Art postromantischer Orgelmusik; dies offenbart ebenso der Umgang der Interpretin mit den Klangmöglichkeiten der Orgel. Das in Anlehnung an den deutsch-romantischen Orgelbau konzipierte Instrument aus der Werkstatt Späth (1997) weiß sie entsprechend mit opulenten Regis­trierungen ins beste Licht zu setzen. Betörend schöne Einzelregis­ter – etwa Flöten – von hoher Verschmelzungsfähigkeit lassen ebenso aufhorchen wie edle Solozungen und gravitätisch-satte, kraftstrotzend-frische Plena auf imposant grundierendem 32’-Fundament. Ein­zig die Ansprache einzelner Register – hier scheint der Intonateur den Neobarock dann doch noch nicht ganz überwunden zu haben – bieten gelegentliche Irritationsmomente.
Eine unprätentiös agierende Organistin, die sich ganz in den Dienst der Musik stellt, ein Instrument, das durch seinen eigenständigen, poesievollen Charakter Beachtung verdient, und eine unmittelbar (an-)sprechende Musik sollten Grund genug sein für eine ehrliche, ernst gemeinte Empfehlung dieser CD.
Wolfgang Valerius