Schneider, Enjott

Orgelsinfonie No. 11 „Advent“ für Orgel solo

Verlag/Label: Schott Music, ED 21225
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 61

Der in München lebende und lehrende Komponist Enjott Schneider (*1950) startete bereits 2005 das anspruchsvolle Un­terfangen, gleich ein ganzes Dutzend mehrsätzige Orgelsinfonien zu schreiben, das er nach eigenem Bekunden in die erhabene „französische Tradition von Widor, Vierne, Dupré und anderer“ eingereiht wissen möchte.
Die im vergangenen Jahr uraufgeführte Orgelsinfonie Nr. 11 Advent ist dem amtierenden Münchener Domorga­nisten Hans Leitner gewidmet. Auf der modalen Grundlage des Ambrosianischen Hymnus Veni redemptor omnium evoziert Schneider im 1. Satz die Atmos­phäre einer „Kultur des Wartens“. Triolische, „krumme“ Unterteilungen des 6/4-Metrums, ostinate Rhythmen und redundante melodische Elemente zeichnen zusammen mit der gedämpften Dynamik das Sujet nächtlicher Dunkelheit und Unerlöstheit des Menschen. Im Mittelteil (calmo) manifestiert sich ein „unscheinbares, kleines Licht“ – in Gestalt einer hochliegenden Me­lodie, im Pedal nur mit 4’ + 1’ gespielt und in schwingende (wiegende) Klangflächen des Manuals eingewoben.
Der 2. Satz („Licht – Mitten im kalten Winter“) ist programmatisch von der mystischen Vision des Propheten Jesaja (Jes 60, 2) inspiriert, die Schneider hier musikalisch poesievoll illustriert. Das ruhig fließende, teils polyrhythmisch (2:3) durchbrochene Andante semplice steigert sich im expressiven Con moto-Abschnitt vermittels Schweller-Dynamik. Abrupt – „wie ein Blitzstrahl“ – entlädt sich sodann die aufgebaute Spannung in einer hastigen Sechzehntel-Girlande vom Diskant- bis in die tiefe Basslage. Leise ,helle Klänge symbolisieren danach das „Licht“, ehe die Wiederholung der Anfangsstimmung den Satz reprisenartig beschließt.
Kontemplative Stimmung und satztechnische Dichte offenbart auch der 3. Satz („Nun komm, der Heiden Heiland“): Über leisen, permanenten Achtelpatterns entwickelt Schneider „Kanons, Additions- und Subtraktionsverschiebungen, zeit­li­che Multiplikationen von Motiven“, die er zudem solistisch hervortreten lässt. Nach und nach wird dabei im Pedal der gesamte Choral in großen Notenwerten durchgeführt. Ef­fektvoll gestaltet sich die finale Toccata sopra „Rorate caeli desuper“. Figurierte Akkordbrechungen und motorische Sechzehntel-Bewegungen folgen dem Archetyp französisch-romantischer Orgel-Toccaten und drücken „naiv-kindliche Vorweihnachtsfreude“ aus.
Aufgrund der mit etwa 22 Minuten recht knappen Gesamtaufführungsdauer und Überschaubarkeit der Sätze vermögen diese Orgelsinfonie oder Teile daraus, auch außerhalb des konzertanten Rahmens, die adventliche Liturgie zu bereichern. Der mittlere Schwierigkeitsgrad und die gemäßigt moderne Klangsprache machen Schneiders Musik zudem jedermann auf gänzlich unproblematische Weise zugänglich.
Das Werk ist für eine Orgel mit (mindestens) drei Manualen konzipiert (HW/Pos/SW/Ped). Hilfreich für den Spieler sind die detaillierten Angaben zu Manualverteilung, Spielhilfen, Registrierung etc., die dem Interpreten gleichwohl hinreichend Freiraum für eigene Gestaltungsideen lassen.

Jürgen Geiger