Klaus Schulten
Orgeln im Nahen Osten
Das Syrische Waisenhaus Jerusalem und seine Orgeln im Spiegel der Zeit
Der griffige Titel des Buches könnte in die Irre führen; er impliziert, dass es dabei um Instrumente in den arabischen Staaten Vorderasiens und in Israel gehen könnte. Dies ist nicht der Fall. Der Untertitel umreißt das Objekt der 140-seitigen Abhandlung präziser. Es geht um die Orgeln des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, das von 1860 bis 1940 bestand. Die missionarisch-diakonische Einrichtung hatte es sich unter anderem zum Ziel gemacht, Waisen Zugang zu einer qualifizierenden Ausbildung zu verschaffen. Zum christlichen Konzept gehörte natürlich auch der Gottesdienst, für den es eine Kirche brauchte und folglich auch eine Orgel.
Klaus Schulten hat die Geschichte der hier vorhandenen Instrumente aufgezeichnet, die er von den Anfängen bis zur Auflösung der Einrichtung schildert. Die erste Orgel wurde 1898 von der Echterdinger Firma Weigle erbaut, das letzte von insgesamt drei Instrumenten 1931 ebenfalls. Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs und der darauffolgenden Enteignung des Besitzes des Waisenhauses wurde das Instrument 1951 ausgebaut und in Beirut, später in Amman, eingelagert. Doch angesichts der widrigen Umstände und der drängenden Zeit geschah dies nicht zuletzt mangels fachkundigen Personals offenbar nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Hinzu kam, dass viele Pfeifen im Laufe der Zeit unter der Hand verscherbelt wurden, da das Metall als wertvoller Rohstoff galt. Das Instrument erwies sich als verloren. Für eine angedachte Rekonstruktion war trotz einzelner Bemühungen unter den damaligen Umständen zu wenig Arbeitskraft und auch zu wenig Substanz übrig geblieben. Dem mittlerweile gewandelten Zeitgeschmack entsprach es ohnehin nicht mehr.
Schulten schildert die Genese der Instrumente des Waisenhauses mittels zahlreicher Quellen, zitiert umfangreich Briefe, zeitgenössische Berichte und liefert auch aufschlussreiche Hintergründe zur Geschichte des Waisenhauses und seiner Protagonisten. Dabei gönnt er sich manchen erhellenden Exkurs, zur Firma Weigle ebenso wie zur Orgelbewegung und auch zur Orgelgeschichte anderer vergleichbarer Schulen in der Region.
Hinzu kommt noch ein Kapitel zur früheren Orgel der Erlöserkirche in Jerusalem, einem Instrument, in dessen Gestaltung die Firma Weigle auch zeitweise involviert war. Dies ist nun genauso Geschichte wie die Orgel des Jerusalemer Waisenhauses, die unwiederbringlich verloren ist. Erschreckend indes ist ein Detail, das Schulten nur am Rande schildert: Anstatt zweckgebunden gespendetes Geld dem Spenderwunsch entsprechend für eine neue Orgel einer Kirche in Amman auszugeben, kauft der verantwortliche Pastor 1965 ein billiges Elektronium und lässt das übrige Geld in den allgemeinen Finanztopf wandern. Die Geringschätzung einer wertigen Pfeifenorgel und überhaupt der Kirchenmusik, die aus solch einem Handeln spricht, ist geradezu skandalös. Was aber generell das Thema Orgeln im Nahen Osten betrifft: Dies wäre wirklich einmal ein spannendes Thema, das sicherlich noch nicht erschöpfend behandelt ist.
Guido Krawinkel