Orgelmusik aus dem Hildesheimer Dom

Leos Janácek: Mládí / Marcel Dupré: Deux Esquisses op. 41 / Jon Laukvik: Triptychon / Bach-Vivaldi: Concerto a-Moll (BWV 593) / W. A. Mozart: Fantasie in f (KV 608) / Isang Yun: Fragment für Orgel / Sergej Prokofjew: Toccata op. 11 (Guillou)

Verlag/Label: Organum classics, Ogm 291064 (2009)
erschienen in: organ 2011/02 , Seite 53

4 Pfeifen

Der vorliegenden Einspielung an dem ursprünglich 1960 von der Firma Breil und nach einem Umbau von der Firma Johannes Klais (1989) mit nunmehr 65 Registern und vier Manualen und Pedal ausgestatteten Instrument merkt man das ursprüngliche neobarocke Klangideal auf Anhieb nicht unbedingt an. Die Standardliteratur des französisch-symphonischen Repertoires aus der zweiten Hälfte des 19. und des 20. Jahrhunderts lässt sich nach dem „obligatorischen“ Zubau von Flûte harmonique & Co. durch Klais im Jahre 2006 einigermaßen gültig darstellen; unterstützt nicht zuletzt durch eine expressive Trompeteria zu 16’/8’/4’.
Die 1977 in der Slowakei geborene Organistin Bernadetta Šun?avská erhielt ihre künstlerische Ausbildung u. a. bei Bernhard Haas in Stuttgart und stellt mit der ambitionierten und nicht ganz alltäglichen Programmgestaltung bei durchweg hohem technischen wie gestalterischen Niveau einen bemerkenswerten Ausdruckswillen unter Beweis. Ihr gelingt ebenso treffend der heitere Ton von Kinderspielen in den vier Sätzen von Mládí (Jugend) von Leoš Janácek, die Bernhard Haas aus der Suite für Bläsersextett für die Orgel ganz vorzüglich eingerichtet hat. Bei den hochvirtuosen Deux Esquisses op. 41 von Marcel Dupré bringt die Organistin die Traktur der Hildesheimer Orgel hörbar bis an ihre Leistungsgrenzen. Gleichwohl vermag sie mit ihrem unaufgeregten Spiel die Interpretation klanglich dem französischen Idiom überzeugend anzunähern.
In zwei Sätzen seines Triptychon bedient sich Jon Laukvik einer Musiksprache, die beim Hörer Reminiszenzen an Messiaen evoziert, wobei er die suggestiv-meditativen Klänge mit iberisch anmutender Tanzrhythmik anreichert. Der begeisternde Höreindruck beruht sowohl auf der meis­terhaften, stupenden Spieltechnik und der farbigen Registrierkunst als auch auf dem im Wortsinne hinreißenden Temperament der Interpretin.
Bei dem Fragment für Orgel von Isang Yun kommen reichlich Aliquote der Mittel- und Diskantlage (bis hin zur menschlichen Hörgrenze) zum Tragen. Sie sprechen für die Eignung des Instruments auch für diese (experimentellere) Art von Gegenwartsmusik für die Orgel, nachdem zuvor etwa konventionelle Klangmuster in J. S. Bachs sattsam bekanntem a-Moll-Konzert (nach Vivaldi) oder in Mozarts genialischer großer f-Moll-Fantasie er­klungen waren.
Ein summa summarum ebenso individuelles wie aussagekräftiges Tonträger-Porträt einer jungen, bestens begabten Orgelvirtuosin, die einem eher „gewöhnlichen“ Instrument so manch spektakuläres Klang­erlebnis entlockt.
Christian Ekowski