Dominik Susteck
Orgellabyrinth
+ Iannis Xenakis: Gmeeoorh. Maximilian Schnaus und Dominik Susteck an der Orgel der Kunst-Station Sankt Peter Köln
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Dominik Sustecks fünfteiliges Orgellabyrinth führt im ersten Satz zunächst in ein „spiegelkabinett“. Eine einfache Dreitonfigur springt durch Register, Lagen, Umkehrungen sowie intervallische Spreizungen und Stauchungen wie durch ein Spiegellabyrinth. Den mehr oder minder verwandelten Vervielfachungen im Tonraum folgen ebensolche in der Zeit, indem vollgriffige Akkord-Repetitionen accellerieren und an der Symmetrieachse zurückgeworfen wieder ritardieren. Im zweiten Satz „der rufer“ verschafft sich eine deklamatorische Melodie inmitten flirrender Arpeggien und dröhnender Bässe beharrlich Gehör, bleibt aber ohne Reaktion des Kontexts wie ein Rufer in der Wüste. Sustecks programmatische Satztitel benennen strukturelle Merkmale und befördern darauf ausgerichtetes assoziatives Hören.
Den stockenden Repetitionen von „runner“ folgen immer dichtere und lautere Attacken, die sich schließlich zu vollem Werk steigern, bis nach kurzem Innehalten der Lauf in die zweite Runde geht. Anstelle des kraftvoll fauchenden Instruments erlebt man dann jedoch nur das mechanische Klappern und trockene Husten der Laden und Züge, als habe sich der „runner“ verausgabt und ginge der Orgel die Puste aus. Der „göttliche“ Atem des Instruments wird auf seine konkret materialen Voraussetzungen dekonstruiert. In Nummer 4 „schwarzes loch“ scheint alle Melodik, Rhythmik und Harmonik von einem gleißenden Cluster verschluckt, dessen ungeheure Masse einfach kein Licht freigibt. Das Notenbeispiel im Beiheft der CD zeigt jedoch feine weiße Lücken in der schwarzen Cluster-Balken-Notation wie das Negativbild einer Melodie. Im reduzierten Finale „unendlichkeit“ pendeln ruhige Intervalle wie die stete Unruhe eines Uhrwerks langsam hin und her, bis sie auf einem sirrenden Zweiklang zum Erliegen kommen, dessen Spannung sich endlich im Klang eines geriebenen Weinglases auflöst. Nicht in der Unmenge des Makrokosmos zeigt sich das Infinitesimale, sondern im Mikrokosmos eines lebendig modulierten Einzelklangs.
Susteck schrieb den Zyklus 2020 für den Organisten Maximilian Schnaus und die Schuke-Orgel der Berliner Sophienkirche. Eingespielt hat Schnaus das Werk jedoch im Jahr darauf beim letztmalig von Susteck geleiteten Festival „orgel-mixturen“ in der Kunst-Station Sankt Peter Köln. Acht Jahre zuvor spielte hier Susteck auf der von Peter Bares konzipierten Spezialorgel für neue Musik Iannis Xenakis’ einziges Orgelwerk Gmeeoorh von 1974. Das Stück beginnt mit einer einstimmigen Linie, zu der weitere melodisch verwandte, doch nie kanonisch identische Stimmen hinzutreten. Der griechisch-französische Komponist sprach diesbezüglich von „aborescence“, Verzweigung oder Verästelung. Je nach Tempo dieses Prozesses resultiert ein schleichendes oder rasend schnelles Wachstum wie von Flechten oder Schlingpflanzen. Die Mitschnitte durch Tonmeister Stephan Schmidt vom Deutschlandfunk Köln bilden die Vielfarbigkeit der Orgel und die Charakteristik des Kirchenraum plastisch ab.
Rainer Nonnenmann