Frescobaldi, Girolamo
Orgel- und Clavierwerke Band II
Capricci; hg. von Christopher Stembridge
In der Bärenreiter-Editionsreihe der Orgel- und Cembalowerke des illustren Girolamo Frescobaldi (1583 1643) ist nun der zweite Band mit Capricci erschienen. Als Herausgeber verantwortlich zeichnet hier der britische Cembalist, Organist und Musikforscher Christopher Stembridge. Grundlage der vorliegenden Edition ist die Originalausgabe von 1624 mit dem Titel Il Primo Libro di Capricci fatti sopra diversi Soggetti, et Aria, die eine Nachfolgesammlung einer bereits 1615 erschienenen Ausgabe verschiedener Capricci darstellt.
Der Begriff des Capriccio ist unklar, sowohl in musikalischer wie auch in historischer Hinsicht. Möglich wären Synonyme wie Gedanke (Inventio), Fantasie oder auch Idee. Das Veränderliche und Unbeständige, Variationen über soggetti bis hin zur Darstellung virtuosen Könnens durch kunstvolle Verzierungstechnik, mögen eine zutreffende Umschreibung des Begriffs Capriccio bieten. Frescobaldi wendet sich mit den neuerlichen Capricci-Kompositionen, auch für den versierten Komponisten gewissermaßen Neuland, an avancierte Musiker; es schien ihm eine geeignete Form des Studiums der Kontrapunktik wie auch eines stile nuovo (fast alle Musikdrucke dienten stets als Lehr- und Lernmaterial) zu sein.
Die Bärenreiter-Edition zeichnet sich dadurch aus, dass sie den neuesten Forschungsstand repräsentiert. Schon allein das Vorwort liefert einen bemerkenswerten akademischen Diskurs mit ausführlichem Anmerkungsapparat. Nicht ohne die Mühe gedanklicher Anstrengungen wird der Leser sich durch diese Seiten durcharbeiten; am Ende steht jedoch das erhellende Ergründen komplexer musikphilologischer Frage- und Problemstellungen. Der Rezensent zollt dem Autor/Herausgeber bewundernden Respekt, dass er es schafft, mit zum Teil kriminalistischen Methoden eine längst versunkene Musikwelt lebendig neu erstehen zu lassen. So wird der Leser en passant darüber aufgeklärt, dass Kuckucksrufe als soggetti einiger Capricci nicht nur bloße mimetische Nachbildungen des Naturlauts darstellen, sondern legendenhaft ebenso die Jungfrau Maria symbolisieren.
Ein Kritischer Bericht am Ende des Bandes, in dem die verschiedenen Varianten Erwähnung finden, rundet die Ausgabe ab. Während das Vorwort zweisprachig (D/E) ist (die deutsche Übersetzung mithilfe von Sven Hiemke), ist der Kritische Bericht bis auf wenige Ausnahmen leider nur in englischer Sprache abgefasst. Der Notentext entspricht den professionellen Standards des Verlags; auf praktikable Wendestellen wurde größtenteils Rücksicht genommen.
Wer an italienischer Musik des 17. Jahrhunderts großes Interesse hat, wird an dieser Edition künftig nicht vorbeikommen. Der hier realisierte hohe editorische Standard des Bandes (wie auch der übrigen Bände) mit Musik von Girolamo Frescobaldi hat freilich nicht nur seinen besonderen Wert, sondern auch einen stolzen Preis (49,95 Euro), der mit Blick auf die Qualität vollauf gerechtfertigt erscheint.
Volker Ellenberger