OrganOrgan

Historical Finnish Organ Works. Werke von Armas Maasalo, Väinö Raitio und John Granlund, SACD

Verlag/Label: Alba ABCD 298 (2010)
erschienen in: organ 2011/03 , Seite 51

4 Pfeifen

Orgelbau, gar Orgelmusik einheimischer Komponisten erwachten spät in Finnland, das bis 1917 Teil des russischen Imperiums war. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Kirchenorgeln im Lande (dessen Bevölkerung zu knapp neunzig Prozent der evangelisch-lutherischen Staatskirche angehört). Das wachsende Bedürfnis nach professionell ausgebildeten Kirchenmusikern führte zur Gründung einer Schule für Kirchengesang und Orgelspiel in Turku (1878) und des Musikinstituts in Helsinki (1882), der heutigen Sibelius-Akademie.
Die Geschichte der finnischen Orgelmusik datiert erst ab 1912/13, sprich mit der Passacaglia des Organisten und Orgellehrers Oskar Merikanto und der Sonate in c-Moll von Armas Maasalo. Im Unterschied zu den meisten finnischen Musikern, die es eher nach Deutschland zog, fand Maasalo (1885-1960) die Pariser Orgelszene der Belle Époque offenbar anziehender. Immerhin zäh­len seine beiden Orgelwerke – Sonat c-moll op. 5 (1913) und Tema con variazioni op. 35 (1936) – zum Grundbestand finnischer Orgelmusik. Obwohl die Sonate schon vor seiner Paris-Reise entstand, finden sich in ihr außer deutschen Traditionsspuren auch Anklänge an die Orgelwelt der Belle epoque. Maasalos melodische Ader zeigt sich sowohl im einleitenden „Adagio melancolique“ als auch im pastoralen Mittelteil des zweiten Satzes, eines Scherzos in A-B-A-Form, das französischen Vorbildern am nächsten kommt. Dagegen atmet das Fugen-Finale barocken Geist alla tedesca. Seine Orgelvariationen fußen auf einer eigenen, in Finnland als „Herbstgesang“ geschätzten Choralweise.
Als „furchtloser Liebhaber moderner Musik“ habe er seinem Erfolg als Komponist selber im Wege gestanden, soll Väinö Raitio (1891-1945) geäußert haben. Auch er empfing stilprägende Eindrücke in Paris. Dass ihn seine Generation nicht verstand, ist heute kaum noch nachvollziehbar. Seine Anfang der 1920er Jahre entstandene Legenda op. 20/1, die ursprünglich Poème suurille uruille (Poem für große Orgel) hieß und die Tempobezeichnung „Adagio fantastico“ trägt, ist impressionistisch getönt. Die knappe Canzonetta von 1935 wirkt in ihrer runenliedartigen Schlichtheit wie ein Gruß an die Hundertjahrfeier des finnischen Nationalepos Kalevala. Das Manuskript des ungedruckten Stücks wurde erst 2005 wiederentdeckt.
Als Dozent für Musiktheorie und Choralgesang, Gesangslehrer und Dirigent war John Granlund (1888-1962) eine stadtbekannte Figur in Turku. Mit der frühen, an Bach und Rheinberger orientierten Passacaglia und der romantisch gestimmten Or­gelsonat i b-moll stellt er den nötigen Lokalbezug zum Standort der Martinskirchen-Orgel her – einem Meisterwerk der finnischen Orgelbaufirma Kangasala, auf dem Ville Urponen alle sechs Werke diskret zum Klingen bringt. Die CD ist eine würdige Reverenz an die Europäische Kulturhauptstadt 2011.
Lutz Lesle