Organo pleno
Orgelmusik zum Ein- und Auszug, hg. von Armin Kircher
Der Titel der Sammlung Organo pleno ist in diesem Falle wörtlich, also in seinem ursprünglichen barocken Sinne zu nehmen. Wir haben es hier nicht mit einer pull-out-all-the-stops-collection, sondern mit einer Kompilation barocker Präludien, Fughetten und Versetten zu tun, die registriertechnisch nach einem kräftigen prinzipalfundierten Plenumklang verlangen, freilich in verschiedenen Abstufungen. Dabei liegt der Repertoireschwerpunkt auf Werken süddeutscher Provenienz. Unter den Komponistennamen finden sich entsprechend Johann Ernst Erberlin, Johann Caspar Ferdinand Fischer, Johann Erasmus Kindermann, Johann Anton Kobrich, Johann Krieger, Giovanni Battista Martini, Gottlieb Muffat, Franz Xaver Anton Murschhauser, Johann Pachelbel, Johann Baptist Peyer, Josef Ferdinand Norbert Seger, Johann Caspar Simon, Johann Speth, Friedrich Wilhelm Zachow und Domenico Zipoli. Etwas aus dieser Reihe fallen insofern Abraham van den Kerkhoven, Nicolas-Antoine Lebégue (mit einigen Plein-Jeu-Sätzen), Guillaume-Gabriel Nivers, John Stanley, Michel Corette und Georg Berg. Johann Sebastian Bach ist ebenfalls als Außenseiter pars pro toto mit einem Präludium (BWV 943) vertreten.
Die Stücke sind nach Tonarten geordnet und weisen allesamt einen technisch geringen Schwierigkeitsgrad auf. Es handelt sich wie gesagt meist um typisch süddeutsche Manualiter-Literatur, teilweise auch mit sparsamem Pedaleinsatz darstellbar, was vor allem auch Spielern an entsprechenden historischen Originalinstrumenten entgegenkommt.
Insgesamt hinterlässt die Sammlung beim Rezensenten allerdings einen etwas zwiespältigen Eindruck. Einerseits handelt es sich um solide Gebrauchsliteratur; Druckbild und Ausstattung entsprechen dem gewohnten Qualitätsniveau bei Carus. Andererseits begegnet man so manchem alten (angestaubten) Bekannten aus den frühen Tagen des ersten Orgelunterrichts bzw. der ersten Gottesdienstbegleitungen. Die meisten der aufgenommenen Stücke sind demgemäß mehrfach bereits veröffentlicht, sei es in gut greifbaren Werkausgaben der genannten Komponisten, in Sammelbänden unter Titeln wie Vorspiele alter Meister oder auch als Public-Domain-Datei auf IMSLP.
Einige wirklich neue Veröffentlichungen aus dem Salzburger Orgelbuch hingegen sind von kompositorisch bescheidener Qualität. Somit ist die Antwort auf die Frage, ob eine Anschaffung sich lohnt, in diesem Fall stark vom Adressaten abhängig. Ein Orgelschüler, der seine erste Notensammlung aufbaut, wird hier eher gut bedient sein, während sich ein erfahrener Organist mit umfangreicher Notenbibliothek angesichts der wohl unvermeidlich zahlreichen Doubletten zurückhaltender verhalten wird.
Axel Wilberg