Giacomo Puccini

Organ Works Vol. 2 (World Premiere Recording)

Verlag/Label: Passacaille, PAS 1029 (2017)
erschienen in: organ 2018/01 , Seite 58

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Dass der als Opernkomponist weltberühmte Giacomo Puccini auch Orgelmusik hinterlassen hat, ist heute wenig bekannt, aber auch nicht besonders überraschend, wenn man die Herkunft des 1858 im toskanischen Lucca geborenen Mu­sikers etwas genauer kennt. Das Organistenamt an der dortigen Kathedrale lag nämlich seit Mitte des 18. Jahrhunderts über Generationen hinweg traditionell bei der Familie Puccini, und dies bis zu Giacomos Vater Michele. Wenn Giacomo Puccini diese Tradition auch selbst nicht fortsetzte, so war er doch in seinen Jugendjahren an der Kathedrale und anderen Kirchen in Lucca sowie in der näheren Umgebung regelmäßig als Organist tätig. Puccini besaß stets lebhafte Erinnerungen an die hier ebenfalls eingespielte Orgel der Lucceser Kirche San Pietro Somaldi, wo schon sein Urgroßvater Antonio und sein Vater Michele am Spieltisch gesessen hatten.
Die im Kontext dieser Praxis entstandenen, vergleichsweise frühen Kompositionen Puccinis galten noch bis vor wenigen Jahren als weitgehend verschollen; doch ist eine größere Anzahl von ihnen durch mehrere Funde seit 2015 wieder ans Tageslicht gelangt. In der vorliegenden als „World Premiere Recording“ angekündigten Veröffentlichung sorgt der seit 1982 in Bologna lebende und aus den Niederlanden stammende sowie in Paris bei André Isoir und Jean Langlais ausgebildete Organist Liuwe Tamminga (mit Repertoireschwerpunkt Italien), in­sofern für authentischen Puccini-Klang, als er just an Instrumenten musiziert, die Puccini sicher oder wahrscheinlich selbst gespielt hat: der 1687 von Domenico Cacioli erbauten Orgel von S. Pietro Somaldi (Lucca) sowie den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Orgeln von S. Francesco d’Assisi in Piano di Conca und S. Lorenzo in Farneta. Hierbei handelt es sich um Instrumente von kleinem bis mittlerem Format (die Dispositionen sind im Booklet dokumentiert), die sämtlich in den letzten Jahrzehnten von der in Lucca ansässigen Werkstätte Glauco Ghilardi restauriert wurden.
Um kirchliche Musik im engeren Sinn handelt es sich bei Puccinis 28 Sonatas oder den Versetti kaum. Viele der knapp konzipierten, gut ein- bis allenfalls vierminütigen Stü­­cke zeigen Marsch- oder Tanzcharakter, und oft ist die Opernbühne nicht fern, wenn Puccini erkennbar Theaterimpressionen aus Verdis Rigoletto oder aus dem damals populären Guarany von Carlo Gomes einfließen lässt. Tamminga stellt dies in seinen Interpretationen entsprechend heraus, wobei er in den als „Marcia“ bezeichneten Stücken Puccinis effektvoll dosiert die Möglichkeiten der Orgel von Farneta zu Schlagwerkeffekten („Banda turca“) ausnutzt.
Fast immer hat man bei Puccinis Orgelkompositionen den Eindruck, es handle sich um Transkriptionen von Musik, die von vornherein für Theaterzwecke bestimmt ist. Da ist es dann auch kein Stilbruch mehr, wenn zwischen Puccinis Orgelstücke Bearbeitungen aus seinen Opern eingeschoben werden (in denen zur Orgel die Harfe Paola Perruccis hinzutritt) und die CD mit einer Tosca-Fantasie aus der Hand des französischen Arrangeurs Emile Tavan abgerundet wird.

Gerhard Dietel