Sweelinck, Jan Pieterszoon

Organ Works Vol. 1

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm MDG 914 1690-6 (2011)
erschienen in: organ 2011/02 , Seite 51

4 Pfeifen

Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621) gehört zu den privilegierten Orgel-Komponisten, die „namentlich“ vielerorts recht präsent sind, sich letztlich allerdings keiner allzu breiten Liebe des Pub­likums erfreuen dürfen, ausgenommen vielleicht die populären Liedvariationen. Da­ran mag das von dem deutsch-amerikanischen Pionier der Alte Musik-Forschung und Havard-Professor Willi Apel gefällte Urteil eine gewisse Mitschuld haben, der Sweelinck eine eher trockene und akademische Kompositionsweise anlastete.
Harald Vogel hat sich in der Vergangenheit bereits als Herausgeber um Sweelinck verdient gemacht. Von daher erscheint es nur folgerichtig, dass er nun auch eine Sweelinck-Einspielung vorlegt. Die hier aufgenommen Werke (3 Toccaten in d, a und g; Psalm 116; eine Echo-Fantasie; „Erbarm dich mein“; ein Capriccio; eine Allemanda, die große Fantasie b-a-c-h und als Ersteinspielung „Ave maris stella“) ge­hören zu den eher selten zu hörenden Stücken des gro­ßen niederländischen Meis­ters und bestätigen den Eindruck eines zwar eher strengen, doch keineswegs tro­ckenen Kompositionsstils. Vogel begegnet dieser („calvinistischen“) Mu­sik mit einer durchweg streng-gemäßigten Spielweise, die gerade hier angebracht erscheint. Deutlich hörbar werden die stilistischen Differenzen in den Toccaten zu Sweelincks (katholischem) Zeitgenossen Frescobaldi, der als Orgelkomponist wesentlich freier agiert als der Niederländer.
Die Orgel der Marienkirche Lemgo dürfte zu den bemerkenswertesten Rekonstruktionen der letzten Jahre zählen. Die Orgelbauwerkstatt Rowan West hat hier hinter dem be­rühmten historischen Prospekt ein Werk errichtet, das sich an einer überlieferten Disposition des Jahres 1629 orientiert und den vermuteten damals vorhanden Bestand von Slegel und Scherer wiederherstellt. Man mag über Sinn und Unsinn solcher Rekonstruktionen streiten – nach der Aufnahme zu urteilen ist ein singuläres Instrument im Stil der späten Renaissance entstanden, das durch ein elegantes Plenum und ein kraftvolles Klangfarbenspekt­rum – besonders der Zungen – auf Anhieb besticht. In dieser idealen Kombination von Spieler, Musik und Instrument ist eine höchst hö­rens­werte Einspielung gelungen, die in das CD-Regal eines jeden Liebhabers frühbarocker Orgelmusik ge­hört und Lust auf (mehr) Sweelinck macht.
Die Ausstattung des Booklets ist überdies untadelig. Beigegeben ist eine improvisierte Registervorfüh­rung, zu der Vogel selbst die jeweils benutze Registrierung ansagt – ungewöhnlich für eine Aufnahme, kennt man solche Klang-Demonstrationen eher von Orgelführungen oder -studienfahrten. So inte­ressant und ergiebig das für sich betrachtet sein mag: aus Gründen des atmosphärischen Gesamteindrucks und der dramaturgischen Geschlossenheit hätte dieses „pädagogische Bonusmaterial“ doch besser auf einer separaten zweiten CD Platz gefunden, da die lapidaren verbalen Ansagen den Hörer doch jäh aus seiner kontemplativen Versunkenheit herausreißen.
Axel Wilberg