Mendelssohn Bartholdy, Felix

Organ Works. Original and Transcription

Overture Paulus | Reforma­tion Symphony | Variations serieuses

Verlag/Label: MDG 906 1853-6 (2014)
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 50

2 von 5 Pfeifen

Vollmundige verbale Anpreisungen gehören inzwischen zum Geschäft des eher konservativen Orgel-CD-Markts. Repertoire, Instrument und nicht zuletzt der Interpret werden mit einer Fülle redundanter Attribute geschmückt, welche die jeweiligen Alleinstellungsmerkmale respektive Besonderheiten herausstellen sollen. Bezüglich der vorliegenden CD ist das Label MDG auf seiner Website keineswegs sparsam. So gerät Mendelssohns Pedalspiel bei seinem ersten England-Besuch zum „Erweckungserlebnis“. Und die hier eingespielte Orgel, ursprünglich 1883 von Thomas Hill für die Londoner St. John’s Church erbaut, wird gar als Wunder (!) des englischen Orgelbaus gepriesen.
Doch schon beim ersten Hören macht sich – ob solcher Euphorie – Ernüchterung breit. Das Instrument weist deutlich hörbare technische Schwächen auf, von denen einige bei der Restaurierung gewiss mit geringerem Aufwand zu beheben gewesen wären. Aber auch klanglich überzeugt das seit 1990 in der Pieterskerk zu Leiden stehende Werk nicht wirklich, fehlt vor allem den Zungen typisch englische Noblesse. Auch die dynamische Geschmeidigkeit, welche die insularen Instrumente des ausgehenden 19. Jahrhunderts auszeichnet, scheint hier kaum vorzuliegen.
Hier wird – wahrscheinlich eher ungewollt – durch mehr oder weniger unbedachte Wahl eines eben zufällig vorhandenen Instruments – Leo van Doeselaar ist Titularorganist der Kirche – Mendelssohn als allzu retrospektiver Barock-Orgelkomponist verkauft. Dies wird dann auch durch die Werkauswahl untermauert. Da stehen Bearbeitungen von Orchesterwerken (Reformations-Sinfonie und Paulus-Ouvertüre) eher beziehunglos neben Studien, die Mendelssohn später in teils überarbeiteter Form in seinen so genannten „Orgelsonaten“ verarbeitet hat. Und wie „schwach“ diese Orgelstudien im Œuvre dieses polyglotten Komponisten eigentlich sind, wird durch die Gegenüberstellung mit den hochvirtuosen Variations serieuses überdeutlich.
Damit wären wir also bei der Gretchen-Frage: Was will diese CD, was will uns der Interpret Leo van Doeselaar, seit 1995 Orgelprofessor an der Hochschule der Künste in Berlin, mit seiner Einspielung musikalisch vermitteln? Handelt es sich um den Versuch, durch „historisch informiertes“ Spiel auf „historischem“, vermeintlich authentischem Instrumentarium einem Musikstück näher zu kommen? Wie dem auch sei: Doeselaars Spiel ist akademisch korrekt, klingt dafür aber wenig inspiriert. Hier wird in vorbildlicher Artikulation Note an Note gesetzt, musikalische „Risiken“ werden hingegen gescheut. Entsprechend spröde und uniform klingen so vor allem die Studienwerke. Kaum ein Engländer würde einen Mendelssohn-Satz in solch statischer barockisierender Registrierung spielen. Aber auch die ausladenderen Orchesterwerke, die bei Mendelssohn oft als rauschhafte Steigerungen hinsichtlich Dynamik und Tempo angelegt sind, lassen stringente Spannungsverdichtungen vermissen. Insgesamt hinterlässt der Organist mit dem hier Gehörten ein leider recht dürftiges, farbloses Profil des eingespielten Repertoires und seiner selbst.
 
Wolfgang Valerius