Joan Cabanilles

Organ Works

Anna Pikulska an der Bar­tholomé Sanchez-Orgel in Cariñena, Aragón (Spanien)

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 906 2367-6 (2025)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2025/03 , Seite 58

Bewertung: 5 von 5 Pfeifen

Die verschiedenen regionalen Orgelschulen der iberischen Halbinsel haben mehr verbindende als trennende Elemente, so dass man von einer großen iberischen Orgeltradition sprechen kann, die in Wechselwirkung mit anderen Ländern und Kontinenten steht. Diese reiche Tradition wurde von bedeutenden Komponisten geprägt, beginnend bei Antonio de Cabezón, über Sebastián Aguilera de Heredia und Francisco Correa de Arauxo, bis hin zu José Elías, der von der (deutschen) Orgelwelt noch mehr ignoriert wird als sein mutmaßlicher Lehrer aus Valencia. Dieser Lehrer, Juan Cabanilles (1644–1712), hatte zwei Professionen: Organist der Kathedrale in Valencia und Priester. Der unüberschaubare Bestand seiner hand­schriftlichen Werke kann ein Hinweis auf seine rege Lehrtätigkeit sein. Das Booklet (D/E) bringt wenig Konkretes zu Cabanilles und zu seiner Musik. Nicht ganz klar ist, ob die CD ein Komponisten- oder ein Orgelporträt sein soll. Was haben die 800 gotischen Pfeifen der Bartholomé Sanchez-Orgel (1734), einem zwei­felsohne sagenhaften Instrument, mit Cabanilles Werken zu tun? Eine typische Cabanilles-Orgel gibt es wohl nicht – braucht es auch nicht, denn einen großen Teil seiner Clavierstücke – kontrapunktische Tientos – lassen sich trefflich auf einer einmanualigen Renaissance-Orgel umsetzen.
Cabanilles’ Kauf eines Spinetts (1666) deutet auf das tägliche Arbeits- und Ausdrucksmittel der Organisten hin; diese espineta wäre wohl die erste Wahl für das tänzerische Repertoire (Track 5 und 13) gewesen. Außerdem dokumentierte Francesc Villanueva Serrano (2011) den Kauf eines Portativs. Zwölf Jahre später erwarb Cabanilles ein Haus in der valencianischen Gemeinde San Salvador, in dem viele seiner Werke uraufgeführt wurden.
Die Beschreibung des Labels spricht von einem „repräsentativen Querschnitt durch Cabanilles’ Orgelschaffen“. Dabei wird ausgelassen, dass er über 900 liturgische Versi komponierte, wohl die Hälfte seiner Tastenmusik.
Die Begegnung Anna Pikulska – Juan Cabanilles verlief äußerst harmonisch. Obwohl Cabanilles die längeren Stücke kontrastreich strukturierte, nutzt die Organistin, die seit 2016 an der Hochschule für Mu­sik Mainz tätig ist, die Möglichkeiten der großen historischen Orgel für kontrastierende Regis­trie­rungen – das ist wirkungsvoll, pub­likumsfreundlich und sicher eine legitime Möglichkeit. Im Tiento de falsas de cuarto tono (9) bleibt es offen, ob die dynamischen Schwankungen ein technisches Problem sind oder ob es hier der Interpretin besonders schön gelingt, mit der Atmung der Orgel (Rhythmus der Balkanlage) zu interagieren. In der Tocata de mano izquierda de quinto tono (10) verzichtet Pikulska gleichfalls auf Klangfarbenwechsel. Der extreme Spaltklang lässt die Imagination eines vorbeikommenden Spielmanns­zugs aufleben. – Was Lippen, Zunge und Gehirn eines Ministril an Virtuosität aufbieten können, das versuchen Anna Pikulskas Hände beherzt zu übertreffen. Cabanilles pur – es gibt zu wenig solcher CDs. Diese silberne Scheibe sollte sich oft im Player drehen.

Johannes Ring

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