Francis Grier

Organ Works

Stephen Farr an der Dobson-Orgel im Merton College, Oxford (UK); Indira Grier, Cello

Verlag/Label: Resonus Limited RES10332 (2024)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2024/03 , Seite 63

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Das britische Label Resonus Limited hat sich zwar nicht auf Orgel-Alben spezialisiert, veröffentlicht aber immer wieder spannende CDs mit Orgelmusik von Komponisten, die aus dem Vereinigten Königreich stammen oder dort sesshaft sind. So hat der – auch hier agierende – Organist Stephen Farr für Resonus Werke von Kenneth Leighton, Philip Moore, James MacMillan und Judith Bingham aufgenommen.
Auf seinem neuen Album spielt er fünf Werke seines 1955 geborenen Landsmanns Francis Grier: Flourish and Reverie (1990), die von Stephen Farr in Auftrag gegebene rund 36-minütige Suite A Celebration for All Saints (2022), das Kammermusikwerk De Profundis (1996) für Orgel und Cello (am Cello: Indira Grier, die Tochter des Komponisten), das kurze Orgelstück Wir haben schwerlich, Griers Beitrag zu dem von William Whitehead kuratierten „The Orgelbüchlein Project“, sowie die Meditation (im Book­let unerwähnt, meiner Internetrecherche zufolge 2012 entstanden).
Angesichts der hohen Qualität von Griers Kompositionen ist es erstaunlich, dass es außer diesem Album nur noch ein weiteres mit seinen Orgelwerken gibt; Tom Winpenny hat es 2017 für das Label Willowhayne Records auf der Orgel der St Albans Cathedral eingespielt. Obschon die Dobson-Orgel (2013, III/44) des Merton College wesentlich kleiner ist als die von St Albans, gefällt sie mir vom Klang her mindestens genauso gut, wenngleich ihr sehr spezieller „Sound“ zunächst gewöhnungsbedürftig ist. Die fest in der englischen Tradition wurzelnden, dabei ungemein farbenreichen, harmonisch raffinierten und kompositorisch einfallsreichen Orgelwerke Francis Griers haben mit Stephen Farr ihren kongenialen Interpreten und mit der „Dobson“ ihr Meister-Instrument gefunden. Dies gilt für allem für das Hauptwerk des Albums, die sechssätzige Suite A Celebration for All Saints, deren gesamtes musikalisches Material sich aus dem ersten Satz „And God said …“ heraus zu einer Abfolge von klingenden Heiligen-Bildern entwickelt, die auf diesen Anfang (aller Dinge, frei nach dem Buch Genesis) gleichsam respondieren. Das mehr als dreißig Jahre vorher – nach Griers Indienreise – entstandene Doppelstück Flourish and Reverie, in welchem der Komponist eigenen Angaben zufolge versucht hat, „das Yin und Yang der Freude zu erforschen“, entpuppt sich nicht nur als ideale „Ouvertüre“ für die Suite, sondern auch als starker Opener des Albums. Die kontemplative Meditation setzt im wohl­tuenden Kontrast dazu einen eher ruhigen Schlusspunkt.
Es hätte ein Referenz-Album werden können – wäre da nicht das De Profundis, das dem hohen Anspruch des traditionsträchtigen Titels in meinen Ohren nicht genügt, da es sich passagenweise darin erschöpft, Tonleitern rauf- und runterzuspielen, was zwar möglicherweise (auch) symbolisch gemeint ist (aus der Tiefe – de Profundis – in die Höhe), aber dennoch eher langweilig anzuhören ist. Abgesehen von diesem „Downer“ ist Stephen Farr ein Album gelungen, das einen starken Beweis von der Strahlkraft der gegenwärtigen britischen Orgelszene ablegt.

Burkhard Schäfer