Gordon Sherwood

Organ Works

Ersteinspielung – Kevin Bowyer an der Orgel von St. Margret in München

Verlag/Label: Sonus Eterna (2023)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2024/03 , Seite 63

Bewertung: 3 von 5 Pfeifen

Bekanntlich macht es die Dosis. Sind Austern für die einen purer Genuss, so sind sie für andere lediglich eine glibberige Masse, die nach einem Schluck Meerwasser schmeckt. Am richtigen Ort und in der entsprechenden Stimmung kann man diesen Meeresfrüchten mit einem guten Wein sicherlich ihren Reiz abgewinnen, als Alltagsspeise taugen sie kaum. – Was haben nun Austern mit den Orgelwerken von Gordon Sherwood (1929–2013) gemein? – Nichts, oder vielleicht doch?
In der Masse, also alle Stücke dieser CD ohne Unterbrechung gehört, wirken Sherwoods Werke am Ende dann doch eher wie ein nicht recht zu definierendes glibberiges Etwas – nicht Fisch, nicht Fleisch. Es ist eine Musik, die unüberhörbar Sherwoods großem „Lehrmeis­ter“ Johann Sebastian Bach huldigt, aber nie wirklich zu einer autonomen Ausdrucksweise jenseits des Vorbilds gelangt. Es drängt sich gar der Verdacht auf, dass hier jemand nicht aus seiner kindlich unbekümmerten Bewunderung hinauswachsen will: Es ist einfach zu schön, im endlos wogenden Meer Bachs zu plantschen. Norbert Florian Schuck, Autor des informativen Booklets (kleiner hätte der Schriftgrad des Textes nicht sein dürfen), beschreibt Sherwoods Ansinnen dann auch etwas arg pathetisch: „Schreibt Sherwood für Orgel, so begreift er Bachs Werke als lebendige Erscheinungen der Gegenwart […] und setzt sich schöpferisch mit ihnen auseinander. Kein anderer Stil und keine Musikgeschichte stehen dann zwischen ihm und Johann Sebastian Bach.“ Man kann den Satz auch so verstehen, dass Sherwoods Orgelwerke nichts weiter als bloße Stilkopien sind.
Was ist nun zu halten von einem Komponisten, von einer Musik, die mehr oder minder den Stil Bachs kopiert? Reicht die pure Bewunderung eines Idols aus, um als Künstler eigenständig in Erscheinung zu treten, gar eigenständige Werke zu erschaffen? Mir zumindest fällt es schwer, in den hier eingespielten Werken eine Künstlerpersönlichkeit zu entdecken. Und wenn dann, wie in Fantaisie et Fugue g-Moll, gar das Original BWV 542 in seinem Duktus über weite Strecken „geklont“ wird, fragt man sich schon, ob Bewunderung nicht auch gelegentlich in Vermessenheit enden kann …
Trotz all der Mäkelei verströmt Sherwoods Musik etwas durch und durch Positives. Hier ist jemand am Werk, der seinen Bach kennt, ebenso die klassischen Regeln des Kontrapunkts beherrscht. Und dies allein ist ja schon ein Gewinn für die Musik von heute, die auf der selbstverliebten Suche nach dem „Un-Gehörten“ allzu oft nur Abstruses hervorbringt. Ebenso positiv zu bewerten ist hier der Organist, Kevin Bowyer, der mit hörbarem Engagement und unbekümmerter Freude am Spiel bei der Sache ist. Nicht zuletzt hinterlässt auch die Orgel einen überzeugenden Eindruck. Gerade ihr etwas kerniges Timbre verleiht der polyphonen Struktur der allein zwölf eingespielten Fugen Klarheit und Transparenz. – Aus­tern ja oder nein? Oder doch lieber die klassische „Bach“-Forelle?

Wolfgang Valerius