César Franck

Organ Works

Verlag/Label: LAWO Classics, LWC 1147 (2017)
erschienen in: organ 2018/01 , Seite 58

3 von 5 Pfeifen

Von dem Franck-Schüler Adolphe Marty ist der folgende Satz überliefert, den überdies weitere Schüler des Pariser Meisters von Sainte-Clotilde bestätigten: „Es ist nur schwer vorstellbar, mit welcher großen Freiheit César Franck seine Orgelwerke spielte.“ Eine Freiheit, derer sich gewiss auch Interpreten der nachfolgenden Generationen bedienen durften und dürfen. Was hier wie bei aller französischer Orgelmusik letztlich zählt, ist der sprichwört­liche bon goût des Organisten. Francks Œuvre bietet zweifellos ausgiebig Raum, seine Musik recht individuell zu gestalten, was Tempo, Agogik, Phrasierung angeht. Allein die in der Regel von Franck klar vorgegebenen Registrierungen sollten ein gewisses Maß an Verbindlichkeit bedeuten.
Der 1943 in Oslo geborene norwegische Organist und Hochschullehrer Bjørn Boysen, der am 30. Januar diesen Jahres verstarb, nimmt sich in seiner Einspielung (fast) des gesamten Orgelschaffens seinerseits die Freiheit, von eben jenem Gestaltungsspielraum, den Marty und seine Kollegen dem „Interpreten“ Franck attestierten, selbst so gut wie keinerlei Gebrauch zu machen. Sein Credo scheint zu lauten: Immer geradeaus! Immer schön im Takt, metronomisch genau. So setzt er den Notentext der Partituren fraglos punkt­genau zuverlässig um – allein diese werden selten einmal wirklich lebendig, selbst dort, wo der Werktitel es just anbietet, wenn nicht gar fordert: im „Cantabile“ nämlich. Auch da herrscht gänzlich rubatolose akademische Strenge, Luftholen wie beim Doktor …!
Diesen Eindruck vermittelt Boysens unterkühltes Spiel bei eigentlich all seinen Franck-Interpretationen. Das passt mitunter sogar, etwa zur marschmäßigen Pièce héroique, weniger jedoch wiederum bei den späten Trois Chorales. Da wäre doch eigentlich natürliches Atmen wie beim Singen und lyrische Kantabilität der melodischen Linie angesagt. In der Fantaisie en la Majeur entscheidet sich Boysen dazu, im Anschluss an die vorbereitete Steigerung hin zum Höhepunkt im Zentrum des Stücks das Tempo anzuziehen. Man würde das Gegenteil erwarten, immerhin schreibt Franck hier „Très largement“. Der meditative Schluss dieser „Fantaisie“: er versinkt, ja versickert ganz beiläufig und belanglos. Solche Momente finden sich immer wieder auch in den anderen Werken dieser Produktion.
Für seine Einspielung nutzt Bjørn Boysen das von Kuhn (Männedorf, Schweiz) im Jahr 2009 unter Verwendung von Pfeifenmaterial der Vorgängerorgel (August Nilsen, 1883) erbaute Instrument der Kirke in Uranienborg (Norwegen). Eine von der Disposition her sinfonisch angelegte Orgel (III/47/P), die erstaunlicherweise in ihrer Klanglichkeit mit der Franck-Auffassung Boysens kongruiert: Sie hat viele unterschiedliche orchestrale Farben; für Franck ist alles da, vom Soubasse 32’ bis hin zur Voix humaine 8’ – aber es ist ein klangästhetisch eher kühles, allzu calvinistisches Instrument, allerdings mit überzeugenden (französischen) Zungenstimmen im Récit, sowohl poesievoll als auch kräftig. Letztlich passt hier alles doch irgendwie zusammen: der unpoetische Interpretationsansatz und das „objektiv“ tönende Instrument.

Christoph Schulte im Walde