Hassler, Hans Leo

Organ Works

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 614 1868-2 (2014)
erschienen in: organ 2015/01 , Seite 54

4 von 5 Pfeifen

In Nürnberg geboren, als Organist und Komponist in Augsburg, Nürnberg, Ulm und Dresden tätig, gehört Hans Leo Hassler (1564–1612) zu den weniger bekannten Orgelmeistern, vermutlich weil eine handliche Gesamtausgabe seines durchaus ansehnlichen Orgelœuvres von rund 110 Titeln fehlt. Franz Raml präsentiert daraus einen Querschnitt von 18 Werken: drei Toccaten (d, F, a), vier Canzonen (C, F, g, a), Recercar ex a, Fantasia ut re mi fa sol la, Magnificat IV. toni, „Ach Gott vom Himmel sieh darein“ sowie sieben Intavolierungen aus der bekannten Sammlung von Vokalwerken Lustgarten Neuer Teutscher Gesäng (Nürnberg 1601). Die beiden sehr zweckmäßig ausgewählten Orgeln klingen mit diesem Repertoire um so charmanter, je geringstimmiger sie sich hören lassen, je mehr sie sich sozusagen kammermusikalisch entfalten dürfen. 
Leider fehlen Angaben zur Registrierung, die man zur Vertiefung des Hörens gerne herangezogen hätte, und ebenso wären – gerade im Falle Hassler – Angaben zu verwendeten Editionen hilfreich gewesen. Dem deutschen Booklettext hätte hier und da ein aufmerksam redigierendes Auge gut getan, wobei vielleicht aufgefallen wäre, dass das auf S. 17 genannte Credo auf der CD überhaupt nicht erscheint. Eine der Aussagen hätte allerdings die Chance, zu einer bahnbrechenden Erkenntnis zu avancieren, wenn sie sich denn musikwissenschaftlich verifizieren ließe: „Vermutlich war Hassler mit diesen Stücken maßstabsetzendes Vorbild für die großen Recercare / Fantasien / Fugen von Sweelinck, Scheidt, bis hin zu Pachelbel“ (S. 17) – bisher stand allein Venezia im Fokus.
Akkorde und Skalen, die typischen Elemente der italienischen Toccata, bilden im Wechsel mit imitativ gearbeiteten Strecken auch bei Hassler weitgehend das Grundgerüst seiner Komposition. Dabei werden einfache Dreiklangsgriffe (meist Halbe) von Passaggi in Sechzehnteln oder Zweiunddreißigsteln umgarnt, und zwar in höllischem Tempo, das Franz Raml mühelos beherrscht, wobei er zugleich Skalen und oszillierende Klauselornamente meisterhaft in die pulsgebende Akkordfolge zu integrieren versteht. Freilich ebnet der virtuose Zugriff diastema­tische, und damit artikulatorische Feinheiten des Tonsatzes zugunsten eines dauerhaft einheitlichen Streamings ein – ist das Hasslers Intention? Wenn es zu Motivbildungen und deren dialogischer Verarbeitung kommt, z. B. mit Achteln und Sech­zehnteln wie in der Toccata d-Moll, T. 154 ff., entlarvt die Assoziation Sprache bzw. Sprechtempo – etwa des zeitgenössischen Vokalkonzerts, der italienischen Villanellenliteratur – den instrumentalen Gestus als aalglatt unprofiliert und gehetzt. Schließlich: Wenn Hassler sämt­liche Oszillationen minutiös ausschreibt – nur beim Schlussklang nicht –, muss dann der Spieler durch eigene titillationi auch noch sein großes Improvisationstalent und seine bereits vielfach bekundete Brillanz nun definitiv zum allerletzten Mal im Schlussverkauf demonstrieren? Eigentlich nicht.
 
Klaus Beckmann