Praetorius, Hieronymus & Jacob jun.

Organ Works

Verlag/Label: SACD, Oehms Classics OC 691 (2014)
erschienen in: organ 2014/04 , Seite 54

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Ein nicht alltägliches Repertoire aus den Anfängen der Norddeutschen Schule präsentiert der Neu-Ulmer Organist Joseph Kelemen auf dieser CD in seiner Reihe Norddeutsche Orgelmeister (Vol. 6), nämlich ausgewählte Werke der beiden Hamburger Hieronymus und Jakob Praetorius, Vater und Sohn, Organisten an St. Jakobi (1582 Substitut, 1586– 1629 Scriba et Organista) und St. Petri (1604–51 im Amt). Vom Senior erklingen drei Hymnus-Zyklen, die Choralfantasie Christ, unser Herr, zum Jordan kam (1625) und das dreiversige Magnificat V. Toni. Der Sohn glänzt mit dem Praeambulum ex D [d-Dorisch] sowie drei Versus-Zyklen über Was kann uns kommen an für Not, Von allen Menschen abgewandt (1624) und dem Magnificat III. Toni. Als Klangmedium steht die dreimanualige Tangermünder Sche­rer-Orgel (1624) zur Verfügung, die diesem Repertoire geradezu auf den Leib geschnitten ist.

Die vierversige Hymnus-Bearbeitung Christe qui lux erhält ihrer kompositorischen Struktur entspre­chend eine sehr sinnvoll differenzierte klangliche Darstellung. Als Primus Versus erklingt die Bass-Durchführung im Plenum a 4 / a 5 mit figurierendem Diskant; im kontrastierenden 2. Versus steht der Diskant – diesmal zart getönt und zugleich geschickt durch Verlagerung ins Pedal hervorgehoben – plan gegen den ruhig fließenden Begleitsatz; der 3. Versus bietet oberhalb des 8’-Trommeten-Basses dem Zink 8’ angemessene Entfaltungsmöglichkeiten; im Schluss-Versus realisiert wiederum der Diskant durch separate Darstellung auf dem Ober-Positiv eine adäquate Umsetzung der Satzidee Spaltklang, obwohl dies nicht einmal ausdrücklich durch Beischrift gefordert wird – dennoch findet sich gerade in dieser Überlieferung (Visby-Tabulatur, spä­testens 1611) erstmals überhaupt der entscheidende Hinweis „Vp 2 Clauier“ (Magnificat III. Toni, 2. Versus).

Während beim Versus-Zyklus jede Bearbeitung (einmalige Durchführung des C.f., Orgelchoral) jeweils eine eigene, versweise einheitliche Farbe erhält, verhält es sich bei der Choralfantasie, wie die Komposi­tion ausweist, entscheidend anders: Satzbilder und Satzdichte wechseln, konzertierende Elemente wie dialogisierende Diskante unterstreichen handlungsbetontes Musizieren (drama, Seconda prattica). Bei Christ, unser Herr kommen diese genannten Momente indes nicht zum Tragen, die Choralfantasie verkümmert zu einer Versus-Durchführung, einheitlich in der Farbe, viel zu lyrisch-statisch in Affetto, Agogik und Toucher.

Das sorgfältig konzipierte Book­let weist gelegentlich Ungereimtheiten auf. Die Bezeichnung „Jacob Praetorius junior“ ist ebenso un­gebräuchlich wie überflüssig, weil der gleichnamige Großvater keine Orgelmusik hinterlassen hat. Dass Sweelinck als „Mitbegründer der Norddeutschen Orgelschule“ gilt (S. 6 f.), ist barer Unsinn. Dafür werden immerhin der promovierte Registrant und der Orgelstimmer namentlich genannt, überraschenderweise fehlen jedoch konzertierende Bälgetreter.

Klaus Beckmann