Sweelinck, Jan Pieterszoon

Organ Works

Reihe "Norddeutsche Orgelmeister Vol. 5"

Verlag/Label: Oehms OC 680 (2012)
erschienen in: organ 2013/02

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In Budapest geboren und u. a. in Basel ausgebildet, amtiert Joseph Kelemen heute als Organist in Neu-Ulm und widmet sich insbesondere der historischen Aufführungspraxis (deutsche Orgelmusik des 17. Jahrhunderts; Bach). Volume 5 seiner beim Münchner Label Oehms Classics angesiedelten Reihe „Norddeutsche Orgelmeister“ bietet zwölf – zur Hälfte mehrsätzige – Titel aus dem Schaffen des „Ams­terdamer Orpheus“.
Die im Booklet skizzierte Darstellung von Leben und Wirken Sweelincks folgt den altbekannten Mustern (Frühbegabung, Stadtorganist Oude Kerk, gesuchter Orgellehrer), wobei Legendenbildungen bereitwillig bzw. ohne historisch-kritische Prüfung weitergegeben werden: Matthesons Diktum vom „Hamburgischen Organistenmacher“ (vgl. dazu organ 2/2012, S. 29-35) ebenso wie die Behauptung „manche(r) Musikwissenschaftler“ (S. 6, sie bleiben anonym), dass „Bach ein Urenkelschüler Sweelincks“ wäre, und zwar in der Folge Scheidemann – Reincken – Böhm – Bach („Letztlich beweisen lässt sich diese Verbindung nicht“, S. 7) – eine fatale Parallele zur historisch wenig authentischen Sainte tradition von Bach bis Dupré. Während der Amsterdamer mit einer kompletten CD als „Norddeutscher Orgelmeister“ (!) firmiert, werden seine Altersgenossen und Repräsentanten der autochthonen norddeutschen Tradition (Johann Steffens, Hieronymus und Michael Praetorius, Celler Tabulatur – vgl. Die Norddeutsche Schule, Mainz: Schott 2005) seltsamerweise mit keinem Wort erwähnt – ein antiquiertes Geschichtsbild, das aus Max Seifferts frühen Tagen (1891) stammt.
Kelemens Sweelinck-Spiel überzeugt durch virtuose Beherrschung der Orgelpartitur und des Instruments. Der Vortrag erhält sein Profil durch den allgegenwärtigen Großtakt mit Halben bzw. doppelt unterteilten Breven als Deklamationseinheit. Dabei unterstützt die Van Hagebeer-Orgel das Spiel – wie bereits im Tonsatz angelegt – mit dem bekannten Phänomen, dass Einzelklanglinien dezent „mager“ erklingen, während zusammentretende Zwei- oder Dreiklänge klangsät­tigende Wirkung entfalten. Das Ohr nimmt nicht nur den bewegungsmäßigen Kontrast wahr, sondern „hört“ auch eine quasi-dynamische Abstufung von grundierenden Klängen etwa im Mezzoforte und schweifenden Tongirlanden im Piano. Ebenso vorteilhaft wird das Pedal, seiner Disposition entsprechend, als Soloclavier eingesetzt, wenn z. B. in der Fantasia Ut re mi das Motto in Basslage von der Pedal-Trompete 8’ vorgetragen wird (dieselbe Klangregie ist übrigens auch bei Steffens’ Fantasia möglich – Zeitstil oder Verbindungen zwischen Amsterdam und Lüneburg?). Kelemen setzt den Sweelinck’schen Tonsatz adäquat in Klang um, so dass jener vermutlich recht zufrieden mit dieser Einspielung gewesen wäre. Ob er wohl dabei auch Ps. 23 Mein hütter auf 2 Clauiren als eigenes Werk (an)erkennen würde?

Klaus Beckmann